Der Blinde von Sevilla
Lebensmittelvergiftung, vielleicht war das Ganze nur eine Lebensmittelvergiftung, dachte er verzweifelt. Encarnacións fabada war nicht mehr gut gewesen.
Die Tür zu den Toiletten ging auf, und er hörte Ramírez.
»… wer weiß, vielleicht bumst er sie auch.«
»Der Inspector Jefe?«, fragte Pérez ungläubig.
»Wahrscheinlich hat er es nach seiner Scheidung dringend nötig.«
Dann verstummten sie, weil sie bemerkt hatten, dass eine der Kabinen besetzt war.
Als sie gegangen waren, kam Falcón heraus, wusch sich die Hände, ordnete seine Kleidung und kämmte sich.
Die beiden Männer saßen in seinem Büro. Auf dem Schreibtisch lag der Bericht der Policía Científica.
»Irgendwas Interessantes?«, fragte er.
»Nichts, was uns weiterhilft«, sagte Ramírez.
»Was hatte Joaquín López denn zu erzählen?«
»Das war sehr interessant, vor allem bezüglich der Frau«, sagte Ramírez mit unverhohlener Antipathie gegen Señora Jiménez. »Offenbar waren die Verhandlungen mit Señor López schon weiter fortgeschritten, als ich dachte. Alles war besprochen, und man hatte sich auf einen Preis geeinigt. Die Anwälte waren schon dabei, den Vertrag aufzusetzen.«
»Und dann hat er Consuelo Jiménez getroffen …«, riet Falcón.
»Genau … er hat die Frau getroffen«, bestätigte Ramírez. »Und sie wusste nichts von dem Deal.«
»Ich würde vermuten, dass Raúl Jiménez es für seine Angelegenheit gehalten hat, wann und was er verkauft«, sagte Falcón.
»Das hat er auch. Doch sowohl er als auch Joaquín López hatten den Einfluss der Frau unterschätzt. Sie haben sich zum Mittagessen getroffen, um sich kennen zu lernen. Señor López war beeindruckt vom Management der Restaurants, von der Einrichtung und dem ganzen Kram, alles, worum die Frau sich kümmert.«
»Hoffentlich hat er ihr keinen Job angeboten.«
»Er hat darüber nachgedacht. Zweck des Mittagessens war es herauszufinden, ob ihr die Vorstellung, die Restaurants weiterzuführen, gefiel, oder ob die Tatsache, dass sie plötzlich nicht mehr die Frau des Besitzers war, einen Unterschied machte.«
»Und das Mittagessen war eine Katastrophe?«
»Sie hat ihn eiskalt abfahren lassen. Joaquín López sagte, schon vor dem Essen wäre alles gelaufen gewesen. Alles war entschieden. Raúl Jiménez wirkte neben seiner Frau wie ein geprügelter Hund. Señor López musste hinterher gar nicht noch mal anrufen – er wusste, dass der Deal geplatzt war.«
»Und wie deuten Sie diese Entwicklung?«, fragte Falcón.
»Ich glaube, sie hat ihn umbringen lassen«, sagte Ramírez. »Sie denken vielleicht, dass die Vorgehensweise dafür zu kompliziert ist, aber darum geht es nicht. Die Frau hat Karriere gemacht, indem sie auf Details geachtet hat. Sie denkt alles bis zum Ende durch. Nichts wird dem Zufall überlassen, weder die Frage nach den richtigen Produkten für die Küche noch die Planung der Ermordung ihres Mannes.«
»Wissen Sie was?«, sagte Falcón. »Ich bin ganz Ihrer Meinung. Ich glaube, sie wäre dazu fähig.«
Ramírez’ Brust wurde noch breiter, und er trat ans Fenster und blickte über den Parkplatz, als wäre der sein Reich geworden.
»Doch möglicherweise gibt es noch eine weitere Dimension«, sagte Falcón. »Oberflächlich hatten sie und ich heute Mittag ein gutes, kooperatives Treffen, aber im Grunde hat sie mir kaum etwas erzählt. Und als ich sie nach den Unterlagen ihres Mannes aus der Zeit des Bauausschusses für die Expo ’92 gefragt habe, hat sie deren Existenz schlichtweg geleugnet und ihre Sekretärin dasselbe tun lassen.«
»Das ist doch verrückt«, sagte Pérez. »Irgendwelche Unterlagen muss es doch geben.«
»Und noch etwas: Raúl Jiménez ist nicht nur ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann gewesen, sondern wohl auch außergewöhnlich. So skrupellos, dass vor 36 Jahren sein jüngster Sohn aus Rache entführt wurde. Er hat damals nicht mit der Polizei zusammengearbeitet, sondern stattdessen mit seiner Familie die Stadt verlassen. Anschließend hat er jede Erinnerung an sein Kind systematisch ausradiert, und zwar weil er die Wahl hatte, entweder alles zu verlieren oder alles bis auf seinen Reichtum und seinen Status.«
»Ich weiß nicht genau, worauf Sie hinauswollen, Inspector Jefe«, sagte Ramírez.
»Was hat Raúl Jiménez davon abgehalten, die Restaurants zu verkaufen?«, fragte Falcón.
»Seine Frau. Sie hat vielleicht damit gedroht, ihn öffentlich bloßzustellen«, schlug Pérez vor.
»Mit einem Kind, das vor 36 Jahren
Weitere Kostenlose Bücher