Der Blinde von Sevilla
vorzutragen.«
»Señor López hat uns jede nur erdenkliche Unterstützung angeboten.«
»Das glaube ich gern.«
»Und wenn wir in Madrid etwas finden … werden Sie sie dann überwachen lassen?«
»Wenn sie schon einmal eines Mordes verdächtigt wurde, ja, wenn es nur um Ladendiebstahl geht, nicht.«
»Um sie wirklich in die Zange zu nehmen, müssten wir eine Verbindung zwischen ihr und dem Kameramann auf dem Friedhof nachweisen«, sagte Pérez.
»Was hat er dort gemacht? Das sollten Sie sich zuerst fragen«, sagte Falcón. »Sein Job war erledigt. Wenn er in jemandes Auftrag gehandelt hat, warum dann die Beerdigung filmen?«
»Vielleicht hat er einen kleinen Erpresser-Film gedreht«, schlug Pérez vor.
»Das ist aber verdammt weit hergeholt, Inspector.«
»Und was ist mit Eloisa Gómez’ Verschwinden?«, fragte Ramírez. »Die Frau hat sie auf dem Video gesehen, das wir uns angesehen haben, nachdem die Leiche abtransportiert worden war.«
»Ich glaube, das ist eine Angelegenheit zwischen dem Mörder und Eloisa …«
»Vielleicht hat der Frau die Vorstellung nicht gefallen, dass dort draußen eine Komplizin herumläuft«, mutmaßte Pérez.
»Denken Sie darüber nach, warum er diese Spielchen mit Eloisa Gómez’ Handy spielt«, sagte Falcón. »Und was ist mit seiner Ankündigung, er hätte eine Geschichte zu erzählen?«
»Was für eine Ankündigung denn?«, fragte Ramírez.
»Das habe ich Ihnen doch erzählt.«
»Sie haben uns berichtet, dass er gesagt hat ›Sind wir uns nahe?‹ und ›Näher, als du denkst.‹«
Falcón war verblüfft und verlegen. Dass sein Gedächtnis so löchrig geworden sein sollte, beunruhigte ihn. Der Brandy. Er berichtete seinen Beamten von dem Telefonat auf der Brücke.
»Das ist ein Ablenkungsmanöver«, sagte Ramírez.
»Für sich genommen, ist es rätselhaft, aber in Verbindung mit dem Kameramann auf der Beerdigung könnte es auch bedeuten, dass er erneut zuschlagen wird«, sagte Falcón. »Wir müssen in alle Richtungen offen sein. Wir können keine Möglichkeit ausschließen und uns allein auf Consuelo Jiménez konzentrieren.«
Ramírez begann, erregt auf und ab zulaufen, bis Falcón die beiden entließ, Pérez jedoch noch einmal zurückrief.
»Ich möchte, dass Sie in puncto Listen doch noch ein paar Sachen unternehmen«, sagte Falcón. »Nehmen Sie die ersten beiden und finden Sie heraus, welche der Firmen noch existieren. Dann finden Sie die Namen der geschäftsführenden und nicht geschäftsführenden Direktoren all dieser Firmen zwischen 1990 und 1992 heraus. Das ist alles, danach lassen wir es gut sein.«
16
Montag, 16. April 2001, Jefatura,
Calle Blas Infante, Sevilla
Falcón ertrug es nicht mehr, allein zu sein, was für einen ausgemachten Eigenbrötler eine bizarre Erkenntnis war. Sobald Pérez das Büro verlassen hatte, überfiel ihn die Sorge, ja, eine regelrechte Angst, dass in seinem Kopf etwas passieren würde. Er konnte sich nicht mehr auf sich verlassen. Andere Menschen erinnerten ihn an sein altes Selbstbewusstsein. Er konnte sich nicht auf den Bericht der Policía Científica konzentrieren, weil Panik in seiner Brust aufstieg, die er in Bewegung umsetzen musste.
Der Gedanke an das Alleinsein nach der Arbeit und das Überstehen einer weiteren Nacht bis zu seinem Arzttermin ließ ihn so verzweifeln, dass er das British Institute anrief und sich wieder in dem Englisch-Konversationskurs anmeldete, den er schon im letzten Jahr belegt, aber nie besucht hatte. So landete er an diesem Abend in einem Klassenraum, wo er mit morbider Faszination einer schottischen Lehrerin lauschte, die ihren Studenten von einer kürzlich vorgenommenen Laserbehandlung am Auge berichtete. Laserstrahlen in die Augen? Er mochte nicht einmal daran denken.
Nach dem Kurs ging er mit einigen anderen Teilnehmern auf einen Drink und Tapas. Er fand die Gesellschaft von Fremden beruhigend, eben weil sie ihn nicht kannten und beurteilen konnten, wie seltsam er sich benahm. Seine Schwester und ihre Freunde würde er meiden müssen. Dies war wohl sein neues Leben …
Um ein Uhr kam er ausgelaugt nach Hause. Es war eine Müdigkeit, die er nicht kannte, eine tiefe strukturelle Erschöpfung wie bei einer Brücke, die jahrhundertelang den Verkehr getragen und sich gegen die gnadenlose Strömung gestemmt hatte. Seine Beine zitterten, seine Gelenke knackten, doch im Kopf war er hellwach. Er schleppte sich in sein Schlafzimmer, brach auf dem Bett zusammen, und seine Augen fielen
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