Der Blinde von Sevilla
zumindest ist es etwas, woran Juez Calderón sich hochziehen kann. Unser erster Augenkontakt mit dem Mörder … besser als gar nichts.«
»Aber wer ist er?«, fragte Falcón und überraschte Ramírez mit diesem plötzlichen Ausbruch. »Handelt er allein? Wird er bezahlt? Was ist sein Motiv?«
»Sind wir uns überhaupt sicher, dass er sein Opfer nicht gekannt hat?«, stieg Ramírez im gleichen Tonfall ein.
»Ich bin mir sicher , dass er seine Informationen von Mudanzas Triana bekommen, Eloisa Gómez benutzt hat, um in die Wohnung zu gelangen, und hinterher auf die Ankunft des Hausmädchens gewartet hat, um wieder herauszukommen, obwohl ich das ungern vor Gericht beweisen müssen würde. Und alles, um uns zu verwirren.«
»Dann sollten wir meiner Ansicht nach Consuelo Jiménez zu einer Vernehmung herbringen und sie mit dem Bild vom Friedhof unter Druck setzen … vielleicht bricht sie ja zusammen«, sagte Ramírez. »Sie ist die Einzige, die dem Opfer nahe steht, über die nötigen Informationen verfügt und ein klares Motiv hat.«
»Im Augenblick würde ich lieber mit statt gegen Consuelo Jiménez arbeiten. Ich treffe sie heute Mittag, um mit ihr die Geschäftsverbindungen ihres Mannes durchzugehen und sie in solche mit und solche ohne Motiv aufzuteilen.«
»Räumen Sie ihr damit nicht Kontrolle über unsere Ermittlung ein, Inspector Jefe?«
»Nicht ganz … denn wir werden selbst auch weitergraben. Sie haben doch Joaquín López von Cinco Bellotas erwähnt. Der ist sicher auch eine Befragung wert. Pérez kann zum Rathaus gehen und sich die Namen sämtlicher Firmen besorgen, die Kontakt zum Bauausschuss für die Expo ’92 hatten. Fernández wird bei der Gewerbeaufsicht nachfragen, und erst wenn wir bis hin zu den Blumenverkäufern, die in die Restaurants kommen, um den Gästen, die vergessen haben, romantisch zu sein, Rosen zu verkaufen, alle durchhaben, lassen wir Señora Jiménez in Frieden. Also arbeiten wir mit ihr zusammen und halten gleichzeitig den Druck aufrecht.«
»Was ist mit den einheimischen Gangstern?«
»Wenn auf der Ebene etwas schief gelaufen wäre, wäre eines der Restaurants abgebrannt, aber nicht sein Besitzer gefoltert und ermordet worden. Trotzdem sollten wir unsere Fühler ausstrecken.«
»Drogen?«, fragte Ramírez. »In Anbetracht der Tatsache, dass wir es mit extremem Verhalten und psychopathischer Gewalt zu tun haben.«
»Reden Sie mit dem Drogendezernat und finden Sie heraus, ob Raúl Jiménez oder irgendjemand, der mit ihm zu tun hatte, je in irgendeiner Form beschattet oder überwacht worden ist.«
Im Laufe der nächsten Viertelstunde traf der Rest der Truppe ein. Falcón brachte sie auf den neuesten Stand, zeigte die Bilder aus dem Video und versprach ihnen einen langen, harten Tag, angefüllt mit langweiliger Arbeit. Er erkundigte sich bei Serrano nach dem Chloroform und den chirurgischen Instrumenten, doch von den Krankenhäusern, die noch ihre Bestände durchsehen mussten, hatte sich bisher keines zurückgemeldet, und die Liste der Labors hatte Serrano nach dem Chloroform noch nicht ganz abgearbeitet. Falcón schickte Baena zu Mudanzas Triana, um die Arbeiter zu befragen und herauszufinden, was sie speziell am Samstagvormittag zum Zeitpunkt von Jiménez’ Beerdigung getan hatten. Als seine Leute gegangen waren, beackerte er in einem langen Telefonat mit Juez Calderón und einem weiteren mit Comisario Lobo noch einmal in etwa dasselbe Terrain. Normalerweise hätte ihn diese endlose Wiederholung geärgert, und er hätte die Telefonate kurz gehalten, doch heute waren es jeweils Calderón und Lobo gewesen, die das Gespräch beendet hatten. Danach stürzte er sich in den Papierkram, was er sonst an einem Montagmorgen nie tat, schon gar nicht während einer laufenden Ermittlung. Schließlich verließ er früh sein Büro, um sich mit Consuelo Jiménez zu treffen.
Zunächst sahen sie sich das Video von der Beerdigung an. Señora Jiménez identifizierte jeden einzelnen Trauergast und erläuterte dessen jeweilige Beziehung zu ihrem Mann, ohne dass sie dabei auf etwas Ungewöhnliches stießen. Anschließend rekonstruierten sie erst die letzten 24 Stunden und dann die letzte Woche von Raúl Jiménez’ Leben. Konferenzen, Mittagessen, Partys, Besprechungen mit Baufirmen, einem Landschaftsgärtner und einem Belüftungstechniker. Sie gab Falcón eine Liste der Firmen, mit denen sie in den vergangenen sechs Jahren zu tun gehabt hatten – auch solche, die vergeblich Angebote gemacht
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