Der Blumenkrieg
auf Rainfarns blutiges Gesicht. Das Zittern des Elfs wurde schwächer, dann hörte es auf.
Ich hoffe, der Saukerl ist tot, dachte Theo, doch er bezweifelte, daß das Betäubungsmittel den Effekt haben sollte. Als Methode, ihn zu ermorden, wäre es genauso umständlich gewesen wie seinerzeit das Vorgehen im Zug. Höchstwahrscheinlich hatte es eine Entführung werden sollen.
Nachdem er seine obere Körperhälfte mit Mühe und Not über einen Stuhl gehängt hatte, schaffte er es, sich hochzuziehen, bis er schwankend neben dem Tisch auf den Beinen stand. Die Stimmen in seinem Kopf waren wieder leiser geworden, doch die Szene im großen Sitzungssaal war nach wie vor zu sehen. Er überlegte, an wen er sich wenden sollte. Er mußte irgend jemandem Bescheid sagen – Stockrose mußte erfahren, was da im Gange war.
»Heinzel?« rief er zur Decke empor. Keine Antwort.
»Ich fürchte, ich muß Fürst Lilie beipflichten«, sagte Narzisse gerade zornig. »Das ist mehr als ungehörig! Diesen Alraun zu schicken ist ein kalkulierter Schlag ins Gesicht.«
Die Nieswurzseite des Konferenztisches war nicht mehr leer. Eine einzelne Gestalt in einer schwarzen Kutte stand jetzt dort, Narzisse und den anderen zugewandt. Was Theo von dem Gesicht erkennen konnte, war so bleich, daß er zuerst meinte, es sei einer der Hohlrücken. Als das Wesen seine Kapuze zurückschlug, sah er, daß es grotesk formlose Gesichtszüge hatte: zwei völlig tote Augen, einen Klumpen als Nase, einen Schlitz als Mund und im Ganzen so leblos wie ein ungebackener Pfefferkuchenmann. Es langte in seine Kutte, und von allen Seiten sprangen Wächter vor und richteten ihre Gewehrläufe auf das unfertig wirkende Ding, ohne daß dieses sich in seinen betont langsamen, schwerfälligen Bewegungen stören ließ.
Theo konnte nur entgeistert und erschöpft auf den Spiegel starren und beobachten, was geschah.
»Nicht schießen!« rief Fürst Narzisse laut. »Keine wissenschaftlich bekannten Waffen können unseren Spürzaubern entgangen sein. Der Alraun hat fünf Kontrollen durchlaufen, bevor er eingelassen wurde.«
Die qualligen weißen Hände kamen zum Vorschein, und jede hielt einen goldenen Stab. Trotz Fürst Narzisses Worten gab es ein aufgeregtes Murmeln und Klicken, als die Wächter, die das nicht bereits getan hatten, ihre Gewehre anlegten und entsicherten, aber die bleiche Erscheinung breitete nur die Arme aus, die beiden Stäbe senkrecht erhoben. Ein Flackern lief zwischen ihnen hin und her, und auf einmal erschien das Bild eines ebenso kalten wie edlen Gesichts mit einem dunklen Bart.
»Nieswurz!« rief Narzisse aufgebracht. »Was soll der Mummenschanz? Warum bist du nicht hier? Warum schickst du an deiner Statt diese armselige künstliche Kreatur, diese … wandelnde Wurzel? Hast du Angst, deinen Standesgenossen gegenüberzutreten?«
Ein Schmunzeln verzog das Gesicht auf dem leuchtenden Bild.
»Meine Genossen sind hier bei mir.« Das Bild behielt dieselbe Größe, doch der Blickwinkel verbreiterte sich, bis die beiderseits von ihm sitzenden Männer zu sehen waren, einer dunkel wie Nieswurz, aber mit weißen Augenbrauen, der andere mit blondem Haupthaar und Bart. »Du kennst Stechapfel und Fingerhut, nehme ich an.« Stechapfel lächelte nur – abgesehen von den Augenbrauen und diesem abstoßenden Lächeln sah er seiner Tochter Poppi erschreckend ähnlich, fand Theo –, doch der Mund des anderen Elfenfürsten war ein schmaler Strich. Trotz seines schmerzenden Kopfes erkannte Theo, daß Fürst Fingerhut beschämt und vielleicht sogar ein wenig bang aussah.
Warum zum Teufel schaue ich mir das an? Das ist keine Fernsehsendung, verdammt noch mal – die haben gerade versucht, mich umzubringen! Ich muß hier raus und jemandem Bescheid sagen … Trotzdem war er im Moment zu nichts anderem in der Lage, als stocksteif dazustehen und das Bild anzuglotzen, auf dem wieder nur noch Nieswurz zu sehen war. Sein blasses, amüsiertes Gesicht wäre beinahe schön zu nennen gewesen, wenn in seinem Blick nicht etwas zutiefst Grauenerregendes gelegen hätte: Selbst vermittelt durch den Bildschirm und den Spiegel, über den er das Geschehen von ferne verfolgte, bannten die rabenschwarzen Augen des Mannes Theo wie eine Kerzenflamme in einem dunklen Zimmer.
»Geht es also los?« fragte Stockrose gerade. Er schien als einziger begriffen zu haben, was sich da abspielte. Narzisse und Lilie und viele andere waren immer noch dabei, sich über diese Verletzung der Etikette zu
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