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Der Blumenkrieg

Der Blumenkrieg

Titel: Der Blumenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ereifern. »Fühlst du dich trotz unserer uralten Traditionen der Gastfreundschaft in unseren Häusern nicht mehr sicher? Heißt das, es wird Krieg geben?«
    Nieswurz lachte. »Sagen wir, ich würde mich in dem Haus, in dem ihr versammelt seid, nicht sicher fühlen, allerdings. Was den Krieg betrifft, mein junger Fürst, jawohl, den gibt es. Und nicht nur das. Das Spiel hat nicht nur begonnen, es ist auch schon aus.«
    Obwohl der magische Bildschirm mit Nieswurz’ Gesicht die Mitte des Spiegels einnahm, wurde Theos Aufmerksamkeit auf einmal von der Fensterwand im Hintergrund des Sitzungssaales angezogen. Auch andere im Raum hatten die Köpfe gedreht, denn etwas Kleines flog zügig über den Himmel auf die Narzissen-Residenz zu, eine schwarze Silhouette, die mit weit ausgebreiteten Flügeln aus der Sonne herabstieß.
    Fürst Narzisse war aufgesprungen und schüttelte die Faust, doch sein Gesicht war so blutleer wie die unförmige Gestalt, die Nieswurz’ Bildschirm aufgespannt hielt das Gesicht eines Mannes, der seinen Tod nahen sieht. »Aber das kann nicht sein! Ein solches Fluggerät konntest du unmöglich herstellen! Alle unsere Gesetze verbieten es! Wir hätten davon erfahren, wenn du die Wissenschaft zum Bau eines solchen Dings getrieben hättest …«
    Das Ding kam geradewegs auf sie zu wie ein an der Schnur eingezogener Kinderdrachen. Theo konnte jetzt seine Form erkennen, die wellenrandigen Flügel, den peitschenartigen Schwanz. Leute im Versammlungssaal kreischten, stießen sich gegenseitig um, stolperten über Stühle, fielen hin.
    »Du hast recht, Narzisse«, sagte Nieswurz. »Deshalb mußten wir auf eine ältere Wissenschaft zurückgreifen, eine, die unser Volk fast vergessen hatte. Warum etwas bauen, das fliegt und Flammen speit und tötet … wenn wir so etwas nur aufwecken müssen?«
    Es war jetzt über dem Zentrum der Stadt. Theo fiel der Kiefer herunter. Das Ding war riesig – er hatte seine Geschwindigkeit falsch eingeschätzt, weil er sich nicht hatte träumen lassen, daß es so groß war, von seinem fauchenden Maul bis zur Spitze seines schlangenähnlichen Schwanzes so lang wie ein Fußballfeld.
    Fürst Lilie taumelte zurück und mußte von zweien seiner Jünger gestützt werden. »Du hast einen Drachen aufgeweckt? Dann bist du verflucht! Verflucht!«
    Eine schrille Heinzelstimme kreischte los, sowohl im Saal als auch in Theos Kopf: »Gefahr! Angriff! Gefahr! Angriff! Gefahr!«
    »Verflucht? Vielleicht«, sagte Nieswurz gleichmütig. »Aber du bist tot. Welches Schicksal wäre dir lieber?«
    Der schwarze Schatten bedeckte das ganze Fenster und stürzte den Saal eine zeitlose Sekunde lang in ein furchtbares Halbdunkel. In jeder Ritze der ungeheuren Erscheinung schwelte es, so daß die von glühendem Rot umgebenen schwarzen Schuppen aussahen wie Steine, die in flüssiger Lava schwammen. Dann klappte das Maul auf, dem ein höllisch gleißendes Licht entstrahlte, zweihundert Meter Flügelspannweite entfalteten sich, um abzubremsen, und der lange Schlangenhals schoß feuerspuckend nach vorn.
    Das große Fenster des Sitzungssaales zerbarst in einer Explosion verflüssigter, brennender Scherben. Einen Augenblick lang sah Theo, wie die Versammelten, von dem Flammenstoß niedergeworfen, zu schwarzen Knochen und Asche verglühten, dann verdunkelte sich der Spiegel. Das ganze Gebäude wackelte unter seinen Füßen, und ein Donnerschlag wie vom Hammer Gottes warf ihn zu Boden und zerschmetterte die Decke über seinem Kopf, so daß die Stücke auf ihn niederregneten wie die Steine des zertrümmerten Jericho.



 
24
Die Bushaltestelle in der Drudenfußstraße
     
     
    S tracki Nessel besah sich das Straßenschild sehr genau, um sich zu vergewissern, daß immer noch dasselbe darauf stand. Er glaubte nicht, daß Straßen normalerweise von einer Ecke zur nächsten den Namen wechselten, aber hundertprozentig sicher wußte er das nicht. Eigentlich wußte er gar nichts hundertprozentig sicher, außer daß er in den richtigen Bus steigen und zurückfahren wollte. Er konnte nur ganz flach atmen, weil er so nervös war, daß ihm die Brust schmerzte. Heute war er zum erstenmal allein unterwegs, seit seine neuen Freunde ihn aufgenommen hatten, und obwohl ein Teil von ihm stolz darauf war, daß er etwas Nützliches tun konnte und nicht bloß ihr Essen verzehrte und Platz beanspruchte, war ihm nicht wohl dabei, unter dem grauen Nachmittagshimmel unbegleitet auf dem Bürgersteig zu stehen. Doch es war ein wichtiger

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