Der Blumenkrieg
Metallteil vorbeizukommen, das den Elf oben am Kopfende der Treppe getötet hatte. Es war noch ein Stück weiter hinuntergerollt und lag jetzt quer über den Stufen, an den Wänden verkeilt. Theo hatte keine andere Wahl, als erst allein darüber hinwegzusteigen und dann zurückzulangen und Wuschel Segge über das Hindernis zu zerren.
Gerade als der Querz auf dem heißen Metall zappelte, geriet das Rohr abermals ins Rutschen. Mit einem Schmerzensschrei sprang oder besser purzelte Wuschel gerade noch rechtzeitig herunter, bevor es ganz die Treppe hinunter auf den feurigen Boden der Narzissenwabe polterte.
Theo trat über die Leiche auf dem Treppenpodest, doch Wuschel Segge erstarrte, obwohl er vorher die ganze Zeit von verkohlten Körpern umgeben gewesen war.
»Die restliche Decke kann jeden Augenblick runterfallen«, drängte Theo ihn. »Komm endlich, oder ich schleife dich mit Gewalt durch diese Tür!« Er hustete, und seine Augen tränten dermaßen, daß er kaum etwas erkennen konnte, doch er hätte die Drohung wahr gemacht und hatte sogar schon die Hand ausgestreckt, als Wuschel schluckte und über den zerschmetterten Körper hinwegtrat.
»Das war Filzer Klette«, sagte er, als Theo ihn durch die Tür zog. »Ich habe ihn von klein auf gekannt. Er hat mit meiner Mutter zusammengearbeitet.«
»Wir gehen zur Haupttreppe.« Etwas anderes fiel ihm als Erwiderung nicht ein. Theo faßte Wuschel wieder unter die Achsel und humpelte mit ihm auf die sternförmige Korridorkreuzung zu. Hinter ihnen ertönte auf einmal ein derart tiefes Grollen, daß Theo in der ersten Schrecksekunde dachte, der geflügelte Schatten, der Drache, wäre zurückgekehrt, am Boden gelandet und gewaltsam in den großen Saal eingedrungen, den sie gerade verlassen hatten. Dann wackelten die Wände des Flurs, der Fußboden hüpfte, und aus dem Grollen wurde ein knackendes Bersten. »Die Decke!« schrie Theo. Er bückte sich, nahm Wuschel Segge so gut es ging über die Schulter und lief los. Der Druck in der Brust wurde so groß, daß er meinte, das Herz werde ihm die Rippen sprengen. Er hatte kaum zehn Schritte getan, da gab es hinter ihnen ein lautes Kratzen und Kreischen, gefolgt von einem titanischen Knall und einer Stoßwelle heißer Luft. Der Boden unter seinen Füßen warf sich auf, und Theo stürzte vornüber, voll auf den in seiner Bewegungsfreiheit behinderten Wuschel.
Als nach kurzem benommenen Warten Decke und Wände immer noch nicht auf sie heruntergebrochen waren, zerrte Theo Wuschel in die Höhe und eilte mit ihm in die einzige Richtung, von der er sicher wußte, daß sie hinauf und hinaus ins Freie führte.
Als sie endlich die Treppe zum Foyer des Tagungszentrums erreicht hatten, ringelte sich bereits der Rauch um ihre Füße wie Nebelschwaden im Sumpf. Wuschel, halb ohnmächtig und von Schmerzen gepeinigt, wollte haltmachen und sich verschnaufen, doch Theo ließ es nicht zu.
Das letzte Stück Weg war wie ein zeitloser Traum, wie der Augenblick zwischen der Erkenntnis, daß man gleich mit dem Auto verunglücken wird, und dem ersten Krachen von Metall auf Metall. Als sie schwankend die letzten Stufen erklommen, sah Theo, daß das Foyer voller Leute war, größtenteils vermummte Schutzleute, die Verletzten zu den offenen Türen hinaushalfen, doch diese ganzen wimmelnden Massen hätten genausogut in einer anderen Dimension sein können, einer Parallelwelt, die zwar sichtbar, aber ohne jeden Bezug zu Theo Vilmos war. Das einzige, was seine Beine antrieb, war der Wunsch, aus dem Gebäude hinauszukommen an die Luft und das Licht und nichts anderes mehr über dem Kopf zu haben als den freien Himmel.
Eine riesige künstliche Narzisse aus Holz und Blattgold war von der Wand gefallen und in tausend Stücke zersplittert; es kam ihm an diesem Punkt kurz vor dem Ziel wie eine mutwillige Beleidigung vor, seine müden Beine über die Bruchstücke heben zu müssen, doch ihm blieb nichts anderes übrig. Sie stolperten zur Tür hinaus und blieben schließlich völlig ausgepumpt unter dem schwarzen Himmel am Fuß der brennenden Ruine des Hauptturms stehen, deren Flammen sich tausendmal in den Fenstern der anderen Narzissengebäude spiegelten. Ein kleinerer, schlankerer Turm stand nahezu unberührt kaum hundert Meter entfernt, nur viele Fensterscheiben waren zerbrochen, und aus einigen qualmte es. Die groteske Szene hätte Theo eigentlich wie Dantes Inferno vorkommen müssen, denn genauso sah sie aus, er jedoch fand sie unbeschreiblich schön. Er
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