Der Blumenkrieg
Eßzimmertisch an und kam zu dem Schluß, daß es eigentlich doch nicht zu früh für ein zweites Bier war. In ein Loch wie seines konnte man den ganzen Tag soviel hineinkippen, wie man wollte, und kriegte es doch nie voll.
Quatsch, das ist Arbeit, was ich hier mache, ich verkaufe schließlich ein Haus!
Mit andern Worten, ich bin beschäftigt. Ich habe lediglich das Glück, daß mein Chef mir erlaubt, am Nachmittag zu trinken.
Er stürzte das halbe Bier mit wenigen Zügen herunter und rieb sich dann die kühle Flasche über die Stirn, erfüllt von dem Wunsch, alles weich und glatt und einfach zu machen. Gewiß, er trank zuviel, aber das war ja wohl verzeihlich. Er hatte seine Freundin, ihr gemeinsames Kind und jetzt auch noch seine Mutter verloren, und das alles in wenigen Monaten. Kein Therapeut der Welt könnte ihm einen Vorwurf machen. Und falls doch einer daherkam, der sich das traute, na, der würde eins in die Fresse kriegen.
Scheiße. Er starrte trübsinnig auf die Unterlagen, auf die Schachteln mit den sorgfältig geordneten Papieren seiner Mutter. Das Haus bedrückte ihn, die Tatsache, daß alles so blieb, wie er es jeden Tag hinterließ, weil niemand sonst mehr darin wohnte. Die ganzen sauberen, öden Oberflächen, die leeren Zimmer, aus denen die Sachen seiner Mutter bereits verschwunden waren, in Kisten gepackt und in die Garage geschafft, weil es einfach zu scheißdeprimierend war, sie weiter anschauen zu müssen. Aber gestern war die Maklerin zwei- oder dreimal mit Leuten dagewesen und hatte ihm auf ihre grauenhaft muntere Art den Eindruck vermittelt, daß sie bereits ein paar ernsthafte Interessenten an der Hand hatte.
Gott sei Dank, daß der Immobilienmarkt floriert. Je eher es verkauft wurde, um so schneller konnte er woanders hinziehen.
Er trank das Bier aus und spielte kurz mit dem Gedanken, sich noch zwei oder drei aus dem Kühlschrank zu holen und einfach den Nachmittag mit irgendeinem dämlichen Fernsehfilm zu verdödeln – es würde zwar nichts Anständiges kommen, weil seine Mutter sich nie um einen Kabelanschluß gekümmert hatte, aber um wertvolle Sendungen ging es ihm nicht. Es ging ihm schlicht und einfach darum, die langen Stunden irgendwie hinter sich zu bringen, das Warten auf den Abend zu verkürzen, wo er dann mit der Entschuldigung, etwas zu sich nehmen zu müssen, das Haus verlassen konnte. Später konnte er zurückkommen und mit dem guten Recht jedes normalen Hausherrn noch ein paar Bierchen trinken, vor den Spätnachrichten einschlafen und das Denken abschalten, bis die Morgensonne wieder durch die Fenster strahlte.
Etwas gurgelte in seiner Kehle. Es dauerte einen Moment, ehe er erkannte, daß es ein in seinem Innern eingesperrter Schrei war, eine wilde Wehklage, die aus ihm herausbrechen wollte. Über seine heiße Haut lief ein eisiger Schauder, wie der Vorbote einer schweren Grippe.
Was mache ich hier? Ich gehöre hier nicht hin.
Er zwang sich, aufzustehen und zum Tisch zu gehen, wobei er ein wenig ins Taumeln geriet – waren es schon vier Bier gewesen oder erst drei? Er setzte sich vor die Schachteln und ausgebreiteten Papiere, die akkuraten großen blauen Umschläge von der Immobilienmaklerin, das Adreßbuch und die Ordner seiner Mutter, aber auf einmal konnte er sich nicht mehr bewegen. Obwohl sämtliche Vorhänge aufgezogen waren, kam ihm das Licht irgendwie falsch vor, so als ob das ganze Haus aus dem warmen, aber unspektakulären nordkalifornischen Sonnenschein herausgehoben und auf der brodelnden Oberfläche des Planeten Merkur abgesetzt worden wäre. Am allerschlimmsten war das Gefühl, daß jemand Fremdes durch seine Augen schaute, daß es plötzlich wie bei einem verwackelten Fernsehbild mehr als einen Theo gab. Es war der Traum, der furchtbare Traum, den er so häufig hatte, aber diesmal war er wach. Das unheimliche Etwas war einfach … da, doch es gab keine Kommunikationsmöglichkeit, nur ein unbestimmtes, bedrückendes Gefühl der Verbundenheit.
Was es mit diesem anderen Theo auch auf sich haben mochte, die Sache gefiel ihm ganz und gar nicht. Trotz des Brennens in seinem Gehirn fühlte sich dieser imaginäre Doppelgänger entsetzlich kalt an, kalt wie ein Eisbrocken, der im Schweif eines Kometen tanzte.
Ist das vielleicht so was wie … wie ein Schlaganfall? O Gott, bitte nicht …
Seine Gedanken zischten und zuckten wie eine Kette nicht explodierender Knallkörper, dann löste sich der unbegreifliche Krampfzustand mit einemmal, und zurück blieb nur
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