Der Blumenkrieg

schwarzgerahmten Spiegel zurück, unter dem sie taumelten wie zu schwer beladene Lastenträger. Auf Geheiß des Beseitigers stellten sie die Spiegel mit einer Armeslänge Abstand einander gegenüber.
    »Hier«, sagte der Beseitiger, und seine Hand tauchte kurz aus dem Schatten und hielt ihnen eine schwarze Kerze in einer Schale hin. Die anderen beiden Fürsten schauten rasch weg, doch Nieswurz trat vor und nahm die Kerze.
    »Stelle sie mitten zwischen den Spiegeln auf den Boden«, wies der Beseitiger ihn an. »Dann zünde sie an, und tritt zurück.«
    Nieswurz legte den Zeigefinger an den Daumen, und eine Flamme entsprang. Im Moment ihrer Entzündung wurden die Öffnungen oben in der Decke schmaler, oder etwas anderes verdunkelte ihr Licht, auf jeden Fall war die Lagerhalle binnen weniger Sekunden bis auf die Kerzenflamme gänzlich finster.
    »Still jetzt!« sagte der Beseitiger lästiger Hindernisse. »Und auch wenn es sicher nicht gesagt werden muß, werde ich es trotzdem sagen: Faßt nicht zwischen die Spiegel oder stört in sonst einer Weise das zwischen ihnen hin- und hergehende Licht, bis ich fertig bin.«
    Er fing leise zu singen an, so leise, daß es von einem rauhen Atmen kaum zu unterscheiden war. Lange Zeit ging das so. Die Flamme über der Kerze schrumpfte, bis sie kaum größer und heller war als das Licht eines Glühwürmchens, ein winziges Pünktchen, das dennoch der Kristallisationspunkt der ganzen Finsternis ringsherum wurde.
    Etwas begann sich in dem Raum zwischen den Spiegeln zu bilden, eine schwach leuchtende Wolke, die aussah, als ob das ursprüngliche Licht der Kerze zu einem diffusen, wäßrigen Schein verlaufen würde. Die Wolke wurde deutlicher, ohne an Festigkeit zu gewinnen, und trieb von einer Seite der gespiegelten Helligkeit zur anderen. Die ganze Zeit über schien sie Gestalt annehmen zu wollen, denn obwohl von Gestalt im Grunde nicht die Rede sein konnte, zeigten sich wechselnde Andeutungen eines Gesichts, das dunkle Loch eines Mundes und tiefliegende, leere Augen. Selbst den drei anwesenden Fürsten des Elfenlandes fiel es schwer, länger als ein paar Sekunden hinzuschauen. Als der tonlose Gesang des Beseitigers lauter wurde, begann sich das Ding heftiger zu bewegen, und es ruckte und zuckte in dem Raum zwischen den Spiegeln hin und her wie ein wildes Tier, das aus einem Käfig auszubrechen versucht. In der Halle wurde es beißend kalt. Das Maul des Dings klaffte weit auf, dann noch weiter, als könnte es sich selbst verschlingen, wenn es wollte.
    »Was ist das?« Nieswurz’ Stimme war perfekt moduliert, nicht panisch laut, nicht ehrfürchtig leise.
    Der Beseitiger verstummte. Als er schließlich antwortete, schien seine matte Stimme aus weiter Ferne zu kommen. »Ein Irrha, ein Geist aus einer der älteren Finsterwelten, ein Dämon der Krankheit und des Todes, der in der Menschenwelt seit dem Untergang Babylons nicht mehr gesehen ward.«
    »Und er wird … tun, was wir wollen? Du sagtest, Gewalt ohne Verstand wäre nutzlos. Willst du mir erzählen, daß dieses … Ding Verstand hat?« Nieswurz blickte auf seine Gefährten, vielleicht Unterstützung heischend, doch diese starrten so gebannt wie angewidert die Gestalt zwischen den Spiegeln an.
    »Es braucht keinen Verstand. Was einer von euch nach reiflicher Überlegung tun würde, wird es instinktiv tun, falls man das so sagen kann. Es ist schrecklich in seiner Unerbittlichkeit. Es wird sein Opfer gnadenlos verfolgen, wohin es auch fliehen mag, durch sämtliche Welten, ohne sich auszuruhen oder zu zögern und ohne den leisesten Skrupel. Es denkt nicht, nicht so wie du und ich, aber das hat es auch nicht nötig. Es nimmt neue Leiber an, wenn es ihrer bedarf, um dem Verfolgten auf den Fersen zu bleiben, und so ermüdet es nie. Irgendwann wird es ihn zwangsläufig aufspüren und ihn fassen, und dann wird es ihn zu uns bringen. In seinem Klammergriff gefangen wird derjenige, den du haben willst, dir alles sagen, alles tun, alles hergeben, was er hat, nur um dieses hungrigen Dings ledig zu sein.«
    »Aha, ich verstehe.« Nieswurz nickte. »Das ist sehr gut.«
    »Das ist … grauenhaft«, sagte Fürst Fingerhut.
    »Es ist beides«, meinte der Beseitiger. »In sämtlichen Sphären gibt es nur wenige vollkommene Wesen. Dies ist eines davon.«
     
    A ls die drei Fürsten die Speicherhalle verließen, standen die beiden Ogerleibwächter starr auf dem Gang und glotzten mit schlaffen Mündern und nutzlos herabhängenden Armen zur Decke empor.