Der Blumenkrieg
brauchte dringend noch ein Bier.
Als er die Papiere in die Schachtel zurücklegte, fiel etwas, das ihm vorher entgangen war, aus dem großen braunen Umschlag mit Festtagsrezepten, in den es sich zufällig verirrt hatte. Es war ein weiteres kleines Glückwunschkartenkuvert, aber ungewöhnlich schwer. Vornedrauf standen in altmodischen, leicht gedrängten Lettern Name und Adresse seiner Mutter.
Heraus kam allerdings keine Karte, sondern ein zusammengefalteter Brief. Das überraschende Gewicht erklärte sich aus einem Sparbuch und einem kleinen Schlüssel, der mit einem vergilbten Klebeband unten an die letzte Seite des Briefes geheftet worden war. Theo beäugte die schnörkelige Unterschrift, die er erst nach eingehender Betrachtung entziffern konnte.
Mit vorzüglicher Hochachtung,
Eamonn Dowd
Er war sich ziemlich sicher, daß Eamonn Dowd einer der Brüder von Oma Dowd war, obwohl er sich kaum mehr an etwas erinnern konnte, was sie über ihn oder sonstige Familienmitglieder erzählt hatte, die mit dem Umzug nach Kalifornien aus ihrem Leben verschwunden waren. Es war ein ziemlich langer Brief, wenigstens im Vergleich zu den anderen, die seine Mutter aufgehoben hatte. Das Datum des Poststempels war Januar 1971, wenige Jahre nach Theos Geburt. Er stand auf, um sich das nächste Bier zu holen, dann entschloß er sich anders und machte sich eine Tasse Instantkaffee, während er sich mit der steilen, zackigen Handschrift abmühte.
Meine liebe Nichte,
Du wirst Dich sicher nur noch dunkel an mich erinnern, da Du mich das letztemal als junges Mädchen gesehen hast, aber wo jetzt Deine Mutter verschieden ist, bist Du die einzige Verwandte, die ich noch habe – die einzige wahre Verwandte. Deine Mutter, meine Schwester Margaret, war von dieser elenden zänkischen Sippe, in die ich hineingeboren wurde, die einzige, die mir nahestand. Wenn ich sie über die Jahre nur selten zu sehen bekam, und Dich noch weniger, dann deshalb, weil meine Reisen es nicht anders zuließen, nicht weil ich es so gewollt hätte.
Nachdem Du mich so wenig kennst, wirst Du es sicher merkwürdig finden, wenn ich Dir sage, daß ich Dir und Deiner Familie gegenüber eine große Schuld trage, die sich nicht wiedergutmachen, ja nicht einmal vermindern läßt. Ich werde sie nicht näher erklären – in einem Brief wäre ich ohnehin nicht dazu in der Lage –, aber ich möchte immerhin sagen, daß sie schwer auf mir lastet, gerade jetzt, wo ich mich anschicke, eine Reise anzutreten, von der es keine Wiederkehr gibt. Als kleine Geste des guten Willens und des Bedauerns, daß ich so ein schlechter Onkel war, übermache ich Dir, Deinem Mann und Deinem kleinen Sohn das wenige an weltlicher Habe, das mir geblieben ist.
Leider Gottes gibt es kein großes Landgut und keine Schatztruhe voll kostbarer Erbstücke. Es gibt nur ein kleines Sparkonto und ein paar persönliche Papiere und andere Kleinigkeiten. Das Geld gehört Dir – es ist nicht viel, aber vielleicht kannst Du damit eines Tages Deinem Sohn eine Ausbildung bezahlen oder eine der mageren Zeiten bestehen, die die meisten im Leben einmal durchmachen müssen.
Wie gesagt, ich möchte mich bei Dir entschuldigen, auch wenn Du nicht weißt wofür und es höchstwahrscheinlich nie erfahren wirst. Unter meinen Wertsachen wirst Du ein Buch finden. Solltest Du einmal soviel freie Zeit übrig haben, daß Du es zu lesen beschließt, halte es bitte nicht für die Hirngespinste eines kranken Geistes. Es sollte eigentlich ein Roman werden, auch wenn dem Versuch, fürchte ich, kein großer Erfolg beschieden war – eine Art modernes Märchen, für das ich mir eine kleine Leserschaft erhoffte. Doch mir fiel kein geeigneter Schluß ein. Jetzt sind mir alle Schlüsse einerlei.
Ich wünsche Dir und Deiner jungen Familie ein gesundes und glückliches Leben.
Theo runzelte ratlos die Stirn und las den Brief noch einmal. Auch beim zweiten Lesen wollte er nicht zu dem anderen Kram passen, den seine Mutter aufbewahrt hatte, und stach grell aus der ganzen stumpfsinnigen Normalität heraus.
Der kleine Schlüssel mußte für einen Banksafe sein, soviel war klar. Das Sparbuch, dessen mit dem Lineal gezogene Zeilen voll sorgfältiger handschriftlicher Einträge waren, stammte von einer Traveler’s Bank, die eine Adresse in der Duende Street hier in San Francisco hatte. Er hatte von der Straße noch nie gehört, aber nach der mit Kohlepapier kopierten, ziemlich verschmierten Wegbeschreibung mußte die Bank sich
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