Der Blumenkrieg
irgendwie – so als ob ein Teil von ihm noch tief in der Wirklichkeit verwurzelt wäre, die er soeben verlassen hatte, während eine zusehends schwindende Theosubstanz über viele tausend Meilen Schall und Licht in die Länge gezogen wurde. Sein ganzes Wesen schien immer dünner und weniger zu werden, bis er sich wie ein fast unendlicher, fast unsichtbarer Bewußtseinsfaden fühlte, in dem jedes einzelne Denkatom nichts anderes mehr berührte als die beiden Nachbarn links und rechts und alle gemeinsam sich immer weiter und weiter spannten. Er war wie ein Gummiband in den Händen Gottes, und Gott breitete seine gewaltigen Arme so weit aus, wie es nur irgend ging …
Und mit einemmal riß das Gummiband.
A ls er wieder zu sich kam, war sein Gesichtsfeld zur Hälfte mit verwaschenen grünen Strichen ausgefüllt, die zunächst nach einem abstrakten Gemälde aussahen. Gras. Er lag auf der Seite in hohem Gras, und irgend etwas bewegte sich.
Kaum hatten sich seine Augen auf die neue Umgebung eingestellt, da erblickte er Apfelgriebs, die vornübergebeugt ein kleines Stück vor seiner Nase kniete und sich gesittet erbrach. Trotz ihrer Nähe löste der Anblick bei ihm nicht den gleichen Reflex aus, wie es bei einem anderen Menschen der Fall gewesen wäre. Er setzte sich auf.
Das löste den Reflex aus.
Als Theo schließlich seinen ganzen Mageninhalt in mehreren Schüben ins Gras geleert hatte, tat Apfelgriebs einen tiefen Atemzug und stöhnte. »Uäh. Zurückkommen ist noch schlimmer als auf deine Seite wechseln.«
»Freut mich … zu hören.« Er wischte sich mit dem Handrücken das Kinn. Sein Kopf dröhnte wie eine Kesselpauke, und er hätte ohne Zögern seine Seele für ein Fläschchen Mundwasser verkauft. »Weil ich mich nie im Leben wieder so fühlen möchte.« Er hob den Kopf und schaute sich um. »O Gott.«
Eigentlich sah die Umgebung gar nicht ausgesprochen anders oder verkehrt aus, sondern bot einen ganz normalen Anblick mit einem gewissen romantischen, präraffaelitischen Einschlag: dicht stehende Bäume und schattige Wiesen, Mittagssonnenstrahlen, die steil durch das Dach des Waldes stießen wie leuchtende Bleilote und von Staubkörnchen und schwirrenden Insekten schillerten. Seine Übelkeit war vergangen, aber die Farben ringsherum waren beinahe zu kräftig, die Ränder zu scharf; wenn er irgend etwas länger anschaute, tränten ihm sofort die Augen. Es erinnerte ihn an die Art, wie eine Dosis Psilocybin den Farben alltäglicher Gegenstände eine neonartige Grellheit verlieh.
»Wo sind wir?«
Apfelgriebs beugte sich abermals vor und spie einen nahezu unsichtbaren Lichtstreifen aus. »Zu Hause. Na ja, für mich zu Hause. Wie soll ich es nennen? Mit dem ganzen gelehrten Bücherschietkram hab ich’s nie gehabt, und was sich nicht sagen läßt, läßt sich in Elfien auch nicht übersetzen.« Ihr Gesicht verfinsterte sich und hellte sich umgehend wieder auf. »Na klar. Elfien. So heißt es.«
»Also hatte ich recht. Nein, Onkel Eamonn hatte recht.« Theo streckte die Beine aus und lauschte dem unsagbar feinen Flöten der Vögel. Kopfschmerz und Übelkeit waren beide so gut wie weg. Er vergaß beinahe, daß er gerade die erschreckendste und schlimmste halbe Stunde seines Lebens durchgemacht hatte. »Es … es ist wunderschön hier.«
»Deshalb haben sie diesen Landstrich so gelassen«, erklärte ihm die kleine Elfe. »Glaub ja nicht, daß es das ist, Bürschchen.«
Er nickte bedächtig, obwohl er keine Ahnung hatte, was sie meinte. Zu denken war schwierig, beinahe körperlich anstrengend: Einer derart überwältigenden Szenerie ausgesetzt zu sein, war für irdische Sinne eine echte Strapaze. Ungewohnt, alles war vollkommen ungewohnt …
Er wandte sich wieder Apfelgriebs zu. »Was zum Teufel war dieses … Ding, das uns angegriffen hat?« Die unirdische Umgebung bekam plötzlich einen anderen, bedrohlichen Charakter, vor allem die düsteren Tiefen an den dichtesten Stellen des Waldes. »Wird es hierherkommen? Ist es schon unterwegs?«
»Ob es kommen wird? Wahrscheinlich.« Apfelgriebs zog die Nase hoch. »Jetzt gleich? Weiß ich nicht, aber ich bezweifle, daß es dich so schnell wiederfindet. Aber irgendwann schon. Empfiehlt es sich also, hier im Wald rumzulümmeln wie ein fetter Trolltrottel? Wahrscheinlich nicht.«
»Was ist das für ein Wesen?« Es dauerte einen Moment, bis der Groschen fiel. »Warte mal – daß es mich wiederfindet? Wieso soll es mich finden wollen?«
»Geh erst mal los.« Flink
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