Der Blumenkrieg
wie eine Libelle schoß sie voraus, zehn Meter in der Sekunde, dann schoß sie genausoschnell wieder zurück und blieb vor ihm in der Luft stehen, ein grimmiges halbes Lächeln im Gesicht. »Nur interessehalber: Daß du so mit offenem Mund dastehst – müßt ihr das immer erst machen, ehe eure Beine sich in Bewegung setzen?«
Er klappte den Mund zu und ließ sich von ihr durch den psychedelischen Wald führen.
I ch stell mich nicht an«, sagte sie, als sie aus einem Waldstück in ein kleines, offenes Tal kamen. »Ich weiß ganz einfach nicht viel. Ich bin eine Botin, eine bezahlte Hilfskraft, mehr nicht. Ich kann dir nur das eine sagen: Genau wie Rainfarn mich hinter dir hergeschickt hat, muß jemand anders diesen wandelnden Komposthaufen geschickt haben. Gehört nicht viel Hirnschmalz zu, um drauf zu kommen. Du sagst, du hast vorher noch nie so eine wie mich gesehen, nicht in echt. Hast du so einen schon mal gesehen?«
»Gott, nein!«
»Siehst du. Er muß von einem dieser Zwischenorte stammen. Wenn ich dich finden kann, dann kann er das auch.«
Theo schüttelte den Kopf. Er hatte schon jetzt genug von dem Abenteuer. Er wollte sich hinlegen und schlafen, doch statt dessen setzte er nur einen Fuß vor den anderen, um diesem nervtötenden fliegenden Weiblein durch eine Gegend zu folgen, die sich von einer Zauberlandschaft in den Albtraum eines strapaziösen Survival-Trecks durch eine Disneyfilmszenerie verwandelt hatte. Der ganze Wald besaß eine geradezu halluzinatorische visuelle Intensität: die glitzernden Staubkörnchen, die Hummeln, die wie geworfene Münzen durch die Luft blitzten, die gewundenen, verflochtenen Wurzeln und die Giftpilze in ihrer farbenprächtigen Vielfalt, ja selbst das saftige Grün des Grases. Er fühlte sich allmählich wie auf einem LSD-Trip, der kein Ende nehmen wollte, und er bekam Kopfschmerzen davon. »Aber warum ich? Ich bin niemand! Ich bin … langweilig!«
»Da will ich nicht widersprechen. Heb dir einfach deine Fragen für den Alten auf – er kann dir wahrscheinlich einen ganzen Batzen mehr erzählen als ich.«
»Erzähl mir was von ihm. Du hast gesagt, sein Name ist … Rainfarn?«
»Graf Rainfarn, ja. Einer von der Chrysanthemensippe, aber ein ganzes Ende weniger dämlich als sonst die Grundbesitzerbagage im allgemeinen.« Sie verzog verächtlich den Mund. »Trotzdem bin ich ihm nichts schuldig und hätte das nicht für ihn getan, wenn er mich nicht bezahlen würde, egal, für wie wichtig er es hält.«
Theo schüttelte abermals den Kopf. »Ich? Du redest schon wieder von mir. Wichtig?«
»Wichtig für irgend jemand, ja, oder sie hätten wohl kaum den ollen Madensack geschickt, daß er dir das Hirn aus der Nase lutscht, oder?«
»Apropos schicken, warum hat dieser Rainfarn dich geschickt? Warum ist er nicht selber gekommen?«
»Weil er seinen Dispens schon gehabt hat, würde ich vermuten.«
»Seinen … was?«
Sie hielt in der Luft an und legte einen Finger auf die Lippen. Zuerst dachte er, sie wollte nur, daß er mit dem vielen Fragen aufhörte, doch dann merkte er, daß sie auf etwas horchte. Ganz plötzlich wurde ihm seine Haut zu eng und sein Herz ein bißchen zu groß und laut in der Brust.
»Ist es … das Ungeheuer?« flüsterte er. Sie schüttelte den Kopf, aber wirkte angespannt. Er bemühte sich, Ruhe zu bewahren, damit sie hören konnte, wonach sie ihre winzigen Öhrchen spitzte.
»Mir nach!« raunte sie schließlich. »Schnell, aber so leise du kannst. Los, nimm deine großen trampelnden Quanten in die Hand!« Sie sauste im Zickzack auf den Rand der Lichtung zu, und halb laufend, halb auf Zehenspitzen tänzelnd eilte er durch die mit Wildblumen übersäte Wiese hinter ihr her. »Hier runter!« Sie deutete auf einen von Gestrüpp überwucherten Graben. Theo krabbelte hinein, preßte sich in ein Bett aus gefallenen Blättern, die silbern und golden schimmerten und rochen, als wären sie in teuren Säcken von einer piekfeinen Gartenhandlung angeliefert worden, und hob dann vorsichtig den Kopf, um zurück über die Lichtung zu schauen. Sie war leer. »Hätt ich nicht gedacht, daß ich meinen letzten Zauber so schnell aufbrauchen muß«, murmelte Apfelgriebs.
»Was …?« begann Theo, doch da flog Apfelgriebs neben ihm auf und versetzte ihm einen überraschend kräftigen Tritt ans Kinn.
»Schnauze!« zischte sie.
Lange Sekunden vergingen, dann sah es plötzlich so aus, als bräche ein horizontaler Sonnenstrahl aus dem Wald hervor und flitzte im Nu
Weitere Kostenlose Bücher