Der Blut-Pirat
ihn, für seine Gier, für seinen Trieb. Er würde wieder Jagd machen, so wie es ihm angeboren war, und er fragte sich, was mit den Kreaturen der Finsternis geschehen war, während er dem grollenden Echo lauschte, das sich durch die restlichen Gesteinsmassen pflanzte und ihn erreichte.
War er frei?
Eigentlich schon, aber er fühlte sich noch immer wie ein Gefangener, denn noch lag über ihm eine dünne Schicht aus Steinen. Sie hatten sie zusammengeschoben, sie bildeten eine regelrechte Decke, allerdings mit Lücken, denn Luft erreichte sein Gesicht.
Zum ersten Mal seit urlanger Zeit spürte er wieder den Wind. In seinem Gesicht bewegten sich Augen, deren Pupillen in einer wie erstarrt wirkenden Flüssigkeit schwammen. Rabanus drückte seine Schulter herum. Es klappte nur zum Teil, dann klemmte er wieder fest. Das machte ihm nichts aus, weil er wusste, dass dieser neue Zustand nicht mehr lange anhalten würde. Er würde freikommen, das Schicksal hatte ihm diesen Weg gewiesen, und dann würde er sich so verhalten wie damals.
Staub umgab ihn. So dicht, dass er nicht sehen konnte, nur riechen und schmecken. Mit jedem Körnchen, das sich auf seine Lippen niederlegte, spürte er ein Stück von dieser neuen Welt, in der sich alles verändert hatte, was er auch wusste, denn die Informationen waren selbst durch die dicke Felsschicht gedrungen.
Unzählige Jahre der Steifheit waren dahin, und die Kreatur der Finsternis fühlte sich ausgetrocknet wie ein Stein. Sie versuchte es mit Bewegungen, obwohl sie noch in der Felsspalte festklemmte. Sie streckte ihre Füße, sie zuckte damit, das war alles. Rabanus wusste nicht einmal, wie er aussah und welche Spuren die Zeit an ihm hinterlassen hatte. Er erinnerte sich jedoch an die Vergangenheit, als er noch eine Kreatur der Finsternis gewesen war und sich von den anderen abgehoben hatte. Er hatte nicht so unwirklich und monströs aussehen wollen wie sie, bei ihm war alles anders gewesen, denn er hatte schon früh genug den Drang der Veränderung in seinem Innern verspürt. Er hatte gemerkt, dass er mehr konnte oder wollte als die meisten, und er hatte sich danach gerichtet.
Verändern… in eine andere Haut schlüpfen… nach Blut dürsten… sich dabei tarnen…
Bruchstückhaft zuckte die Erinnerung durch seinen Kopf.
Er stellte sich selbst vor. Er hatte einen Kopf, einen Körper mit Armen und Beinen. Er hatte einen Mund, in dem etwas lag, das sich anfühlte wie ein klumpiges Geschwür.
Was war er?
Blut! Nur Blut!
Saft, der in den Körpern der Lebewesen kroch, die er überfallen hatte. Er hatte sich durch die Urzeit bewegt wie ein Beutegigant, er hatte die Tiere angefallen, gerissen und sie ausgeschlürft. Warmes, dampfendes Blut…
Auch heute hatte sich dabei nichts verändert. Noch immer durchrann es die Adern der Lebewesen, noch immer würde es warm sein und dampfen, wenn es aus den Wunden floss.
Gedanken und Erinnerungen ließen sich nicht einfach abschütteln, auch bei ihm nicht, und er freute sich auf den Schrecken, den er verbreiten würde.
Viel war geschehen, aber er wusste jetzt schon, dass er sich in der neuen Welt auch zurechtfand. Viele Informationen waren ihm zugetragen worden. Er war der Blut-Pirat und würde dies beweisen. Sogar mächtige Helfer würden ihm zur Seite stehen, das stand längst fest.
Nur musste er sich noch befreien.
Es war schwer, es würde wohl auch nicht klappen, wenn er wieder zu Kräften gekommen war. Aber es gab Helfer, und die würden Rabanus nicht im Stich lassen.
Sie würden kommen.
Sehr bald sogar…
***
Guy Sullivan hatte seinen Benz gescheucht und war auch rücksichtslos gefahren. In ihm hatte eine irrsinnige Kraft gesteckt, ein Hass, den er sich nicht erklären konnte, ein völliger Wahnsinn, eine furchtbare Vorstellung von gewissen Dingen, die nur in seiner Phantasie existierten, an deren Entstehung dieser Fremde allerdings die Schuld getragen hatte. Er war es gewesen, er hatte den Keim eingepflanzt, der immer mehr wuchs und wucherte, je mehr er sich seinem Ziel, dem Talgrund, näherte, wo sich einiges verändert hatte. Nichts war wie sonst.
Tonnen von Gestein waren durch die Sprengung gelöst worden und waren ins Tal gepoltert. Es würde lange dauern, bis die Bagger und Raupen alles so gerichtet hatten, dass die Verbindungsstraße wieder benutzt werden konnte. Man war sich nur noch nicht einig, ob sie durch oder um den Berg herumführen sollte. Jedenfalls hatte er verändert werden müssen, weil diese Seite eben vom
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