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Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Titel: Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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er hütete sich, die Frage zu stellen. Er stand auf einem schwarzen Feld zwischen dem alten Hubert und einem drahtigen kleinen Kerl, der die Rolle des Springers übernommen hatte.
    Weiß begann, wie im echten Schach, so auch hier.
    Ein Zug ging folgendermaßen über die Bühne: Figuren, die zu ziehen wünschten, hoben die Hand und nahmen Blickkontakt zum eigenen König auf, der daraufhin einer Person die Erlaubnis erteilte, sich zu bewegen – das allerdings, ohne zu wissen, wohin die Figur zog, so dass er das Spiel nicht wirklich steuern konnte. Die Damen eröffneten die Partie mit einem Bauern (oder vielmehr einem jungen Bauernmädchen), worauf Schwarz mit einem ähnlichen Zug antwortete. Nun war der Weg frei für Eugen, in diagonaler Richtung vorzurücken. Doch noch zögerte er. Er hatte schon lange kein Schach mehr gespielt und wollte noch ein, zwei Züge abwarten, ehe er in das Geschehen eingriff. Ein weiterer Bauernzug auf der weißen Seite, dann hüpfte der Springer, der neben Eugen stand, nach vorne.
    Der nächste Zug brachte die erste echte Konfrontation. Ein weiblicher Läufer schob sich mit graziösen Schritten ein Feld heran und bedrohte aus der Ferne den schwarzen Springer, der eben gezogen hatte. Nach den Regeln des Räuberschachs bedeutete das, die Läuferin würde ihn im folgenden Zug schlagen müssen, falls er nicht auswich oder gedeckt wurde. Wenn es eine Deckung gab, würde sie auch diese attackieren müssen. Eugen versuchte sich in diese ungewöhnliche Regel hineinzudenken, bei der jede Drohung einen Angriff nach sich zog, und eine Strategie zu entwickeln.
    Doch binnen einer Minute vergaß er diese Probleme.
    Der Königsbauer, der im vorletzten Zug einen Schritt gegangen war, ging einen zweiten und schob sich damit vor den Springer, opferte sich für ihn. Schon während der Bauer zu diesem Zug optierte, beschwerte sich der Springer lautstark, und als er vollzogen war, verpasste er dem schräg vor ihm Stehenden einen Knuff in die Seite.
    Die Läuferin war ein schlankes, langbeiniges Geschöpf und hatte in ihrem rosafarbenen Kleid etwas Puppenhaftes an sich. Applaus brandete unter den Männern auf, als sie mit aufreizendem Gang die Diagonale über die schwarzen Felder entlang spazierte. Sie ließ sich dabei alle Zeit der Welt, als bade sie in Vorfreude.
    Welches Ritual hatten sich die Spieler wohl für das Schlagen ausgedacht? Etwas Derbes oder etwas Taktvolles? Würde der Bauer eine Ohrfeige von der Dame kassieren, oder würde er sich galant vor ihr verbeugen und mit gesenktem Haupt das Spiel verlassen?
    Die Springerin erreichte ihn. Sie war nun keine drei Meter von Eugen entfernt, stellte sich auf das Feld des Bauern.
    Und dann schlug sie.
    Sie schlug … ihre Arme um seinen Körper und presste sich an ihn. Seine Hände berührten kurz ihre Taille, fuhren dann zu ihren Schultern hinauf und drängten sich von dort aus zu ihren Brüsten. Während er ihren Hals und ihr Dekolleté mit leidenschaftlichen Küssen bedeckte, liefen seine Finger an ihr auf und ab, streichelten ihre Schenkel. Sie half ihm, ihre schweren Röcke zu heben, und …
    Eugen wandte sich um und lief los. Herunter von dem Spielfeld, über die Wiese. Ein lautes, vielstimmiges „Ooh“ erhob sich hinter ihm, das in Lachen überging. Eugen rannte weiter, nicht in Richtung Haus, sondern durch das Tor hinaus auf die Wiesen, wo er alleine war.
    „Wir hätten es wissen müssen!“, schrie jemand. „Ein Künstler!“
    „Kein Künstler“, verbesserte ein anderer. „Ein Läufer eben!“
    Das Gelächter schwoll an, und Eugen lief so lange, bis er es nicht mehr hören konnte.

    ENDE DER EPISODE

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Nr. 34 -

Lorenz
    (nach Ideen von Maho Clauß)

1
    Das Wetter der sich anschließenden Tage war beinahe sommerlich warm und ohne Veränderungen, ganz, als versuche es Eugen für seine aufreibenden ersten Stunden auf Falkengrund zu entschädigen und ihn mit dem Haus und der Umgebung zu versöhnen.
    Eugen war bereit, sich versöhnen zu lassen.
    Die Gäste des Barons waren nach zwei Nächten abgereist, und Lorenz’ Laune hatte sich von dem Moment an, als die letzte Kutsche auf den kurvenreichen Weg zum Tal einlenkte, stetig gebessert. Gute Laune zu haben bedeutete bei dem Freiherrn von Adlerbrunn natürlich keine überschäumende Fröhlichkeit, sondern einen gleichmäßig in sich gekehrten Zustand, den man als „düster“ bezeichnen mochte oder einfach als „seriös“. Katharina wirkte erleichtert darüber, dass im Haus wieder

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