Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann
Sie bitte. Ich kenne den Baron noch nicht sehr lange. Er hat sich mir gegenüber noch nicht über seine Vergangenheit ausgelassen …“
„So, hat er nicht? Das ist aber merkwürdig. Wo er doch die ganze Zeit über an nichts anderes denkt.“
„An seine Vergangenheit?“
„An Sophia“, nickte die Frau. „An unsere Tochter.“
Eugen erstarrte auf der Schwelle zu Falkengrund. „Sie müssen mich entschuldigen. Ich sollte nicht so viel fragen, aber ich fürchte, ich habe da eben etwas falsch verstanden. Man hat mir gesagt, Sie beide wären die Eltern der Baronin.“
„Das sind wir.“
„Nein, ich meine … die jetzige Baronin … die Eltern von Katharina.“
„Ah, jetzt verstehe ich Ihre Verwirrung.“ Der Mann schaltete sich ein. „Schauen Sie, junger Mann, es ist ganz einfach: Wir sind beides. Sophia und Katharina – die erste und die zweite Baronin von Adlerbrunn – sind beide unsere Töchter. Wir hatten acht Kinder, Sophia war die Älteste, Katharina ist die Jüngste.“
Eugen blinzelte, formte Worte, brachte jedoch keine heraus.
„Es überrascht Sie“, stellte die Frau fest.
„Ja“, gestand er. In seinem Kopf arrangierten sich Gedanken, Zusammenhänge. Lorenz hatte die jüngere Schwester seiner verstorbenen Frau geheiratet. Die beiden Leute, die vor ihm standen, waren die Großeltern von Wolfgang und Roland, und Katharina war nicht nur die Stiefmutter, sondern auch die Tante der beiden jungen Männer. Mit einem Mal begriff er, wo die erstaunliche Ähnlichkeit zwischen Katharina und Roland herkam. Die beiden waren blutsverwandt.
Und was begriff er noch? Was sagte ihm diese neue Information über die Familie von Adlerbrunn? Über Lorenz? Über Katharina?
Im Moment noch nichts. Er musste nachdenken.
Zerstreut begleitete er die beiden älteren Herrschaften ins Haus. Sie packten ihre Geschenke zusammen, hastig beinahe, und traten binnen einer halben Stunde den Heimweg an.
3
Der Zufall wollte es, dass Lorenz an dem Tag, als Eugen eines der Bilder fertig stellte, ein Schreiben empfing, das ihn für einen Monat von Falkengrund wegrief. Von einem Freund aus Jugendtagen hatte er eine Einladung nach Florenz erhalten. Der Freund hatte im Königreich Italien geheiratet, sich dort niedergelassen und war zu ansehnlichem Reichtum gekommen.
Für Eugen war die Abreise des Barons ein Zeichen, seinen Welpen zu nehmen und Falkengrund ebenfalls zu verlassen – nur vorübergehend, natürlich. Er erfand einen Vorwand, und der Hausherr ging sofort darauf ein, ohne die Gründe zu hinterfragen. Ein stummes Abkommen kam zwischen Lorenz und ihm zustande: Er würde nicht auf dem Schloss weilen, solange der Baron abwesend war. Natürlich ging es dabei um Katharina. Und darum, das Vertrauen zwischen Lorenz und Eugen nicht aufs Spiel zu setzen.
Katharina hatte viel Zeit, um nachzudenken, ob sie diese Entscheidung begrüßte oder nicht. Das Schloss fühlte sich leer an, nachdem die beiden Männer gleichzeitig abgereist waren. Nun war sie mit ihren beiden Stiefsöhnen allein, und das bedeutete, vierundzwanzig Stunden am Tag angespannt zu sein. Die Streiche der jungen Männer hatten längst den Rahmen dessen überschritten, was man erheiternd oder neckisch nennen konnte. Ihre Bemerkungen, ihre Blicke, ihr Schabernack – alles zielte nur auf ein Ziel hin: Katharina aus Falkengrund zu verjagen.
Die Frau wusste es schon lange. Schon vor ihrer Hochzeit mit Lorenz waren die Fronten klar abgesteckt gewesen. Die beiden wollten das Erbe.
Auch nachdem sie es begriffen hatte, hatte Katharina in ihrem Inneren stets versucht, die jungen Männer in Schutz zu nehmen. Die Gedanken ihrer Stiefsöhne schienen ihr beinahe schon nachvollziehbar.
Wolfgang und Roland waren als Waisen aufgewachsen, mit einem Vater, der mehr als einmal dem Wahnsinn und dem Selbstmord nahegestanden hatte. Lorenz von Adlerbrunn war auch viele Jahre nach dem Ableben seiner ersten Frau Sophia nicht von ihrer Erinnerung losgekommen. Er liebte sie noch immer, konnte ihren Tod noch immer nicht wahrhaben. Vor allem aber war er ein Jahrzehnt lang sicher gewesen, dass er niemals eine andere Frau würde lieben oder auch nur begehren können. Nicht einmal eine Heirat aus Vernunftgründen kam für ihn in Frage. Es musste ihm erscheinen, als beschmutze er das Andenken seiner abgöttisch verehrten Sophia.
Als Sophias Eltern ihm vorschlugen, die jüngste Tochter Katharina zur Frau zu nehmen, hatte er mit ihnen gebrochen, hatte den Vater die Treppe hinunter geworfen
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