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Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann

Titel: Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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ausbüxt.“ Protestierendes Bellen antwortete ihm, und er musste jemanden zur Seite stoßen, der sich in sein Hosenbein verbissen hatte. Sie verloren sich in ihrer Rolle, wurden mit jeder Minute besser.
    Lorenz ging zur Tür hinaus, lief auf die Rückseite des Hauses. Dort warteten im Halbdunkel vier Pferde auf ihn. Ihr Geschirr war mit einer stabilen Kette verbunden, die aus einem der Fenster im ersten Stock kam. Vor der mit Fantasiefiguren verzierten Rückwand Falkengrunds lag eine Reitpeitsche im Gras. Der Baron hob sie auf und ließ sie knallen.
    Die Pferde preschten los, und die schwere Kette lief ratternd über den Fensterrahmen und riss eine tiefe Schramme hinein. Aus dem Inneren des Hauses drang ein kurzer Schrei. Sehr kurz. Danach lag für einige Minuten ein merkwürdiger Laut in der Luft. Man konnte ihn nicht beschreiben. Eine Art dumpfes Brummen, das keinen menschlichen Ursprung zu haben, sondern von einem seltsamen Naturphänomen herzurühren schien.
    Lorenz nahm sich viel Zeit, um auf die Vorderseite zurückzukehren. Als er in das Haus zurückkehrte, hatte sich alles verändert.
    Die Kleider lagen verstreut auf dem Fußboden, doch die Menschen, die sie getragen hatten, waren nicht mehr bei ihnen. In dem stumpfen, grauen Zwielicht waren Bewegungen zu erkennen, nicht auf dem Boden, sondern in Augenhöhe – und höher. Als der Baron den Kopf leicht in den Nacken legte, sah er die entblößten Leiber von zwei Dutzend Menschen von der Decke herabhängen. Die meisten bewegten sich noch, strampelten mit den Füßen, versuchten unter Aufbietung aller Kräfte die Halsbänder von ihren zugeschnürten Kehlen zu lösen. Lorenz von Adlerbrunn ging zwischen ihnen umher, um zu prüfen, ob es einer von ihnen schaffen würde, doch es sah nicht danach aus. Der Ruck war nicht abrupt genug gekommen, um ihnen das Genick zu brechen, doch auch unter diesen Umständen würden ihre Todesqualen nicht mehr lange dauern.
    Einige von ihnen hatten aufgehört zu zappeln. Ihre Exkremente strömten zu Boden. Der Baron kam an seinem Sohn Roland vorbei und sah, dass sich dessen Lippen bewegten.
    „… das Skizzenbuch“, röchelte Roland, „… ich habe … es … dem Maler … gestohlen …“
    Lorenz ergriff seine Füße und schüttelte ihn. „Was? Ist das wahr?“
    Roland nickte mit hervorquellenden Augen, und Lorenz rannte zu der Frau hinüber, die einmal seine Gemahlin gewesen war. Ihre Beine baumelten fremd und puppenhaft vor seinen Augen.
    „Katharina“, sagte er tonlos. „Du bist es wirklich. Du bist meine Katharina!“ Fieberhaft überlegte er, ob es einen Weg gab, sie zu retten, ihren Strang durchzuschneiden, doch er sah noch einmal genauer hin und musste erkennen, dass sie bereits tot war.
    Lorenz hetzte in die Küche. Dort begegnete er einem Küchenmädchen, das das Haus in wilder Panik durch das Fenster verließ, unfähig, die Halle mit den sterbenden Menschen zu durchqueren. Die anderen Dienstboten waren bereits geflohen. Er besorgte sich ein großes Messer und stieß es sich noch auf dem Weg zurück in die Eingangshalle in die Brust.
    Den Schmerz spürte er kaum, doch zwei Dämmerungen verdüsterten seine Welt nun in rasender Geschwindigkeit – die Dämmerung der äußeren Welt und die der inneren. Mit seinem Tod schien auch das Ende der Wirklichkeit zu kommen. Im Kreis unter den von der Decke herabhängenden Leibern stolperte er und fiel.
    Er hatte seine gesamte Familie ausgerottet, seine Frau, seine Söhne und sich. Dazu seine Gäste. Sie waren ihm stets wie unzivilisierte Barbaren erschienen, wie sie sich die Bäuche vollschlugen, sich betranken und sich untereinander paarten wie die Tiere. Und doch war der einzige Barbar, der jemals einen Fuß in dieses Schloss gesetzt hatte, er selbst.
    Falkengrund, das ihm einst das Leben gerettet hatte – nun wurde es zum Schauplatz seines Verbrechens. Er hätte Lust gehabt, das Gemäuer noch einmal zu begehen, noch ein letztes Mal die Zimmer zu sehen, die seine liebste Heimat geworden waren. Doch er hatte zu gründlich zugestoßen.
    Lorenz von Adlerbrunn hatte nicht mehr die Kraft, sich zu erheben. Sein Blut verließ seinen Körper durch das riesige Loch in seiner Brust, und die Finsternis sog es gierig in sich auf. Er drehte sich auf den Rücken, das Letzte, was er noch tun konnte. Es wunderte ihn, dass Gott ihn überhaupt sterben ließ, nach dem, was er angerichtet hatte.
    Im verlöschenden Licht seiner Augen sah er die weißen Leiber über sich, und es war ihm, als

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