Der blutige Baron - Lorenz - Der Buhmann
seiner Wut verrauchen lassen, und er hatte nicht mehr die Energie, vor allen Gästen eine Szene zu machen.
In der Nacht schlief er schlecht, und als Katharina ihn auch am folgenden Tag schnitt, sank seine Laune noch weiter. Er wusste nicht, was er sich wünschte. Dass die Gäste gingen, damit sie sich endlich aussprechen konnten, oder dass sie noch lange blieben. Ihr nächstes Gespräch konnte, wenn es schlecht verlief, das Ende ihrer gemeinsamen Zukunft bedeuten, das wusste er. Jetzt, wo endlich die volle Liebe zu ihr erwacht war, fürchtete er sich mehr vor diesem Ende als vor allem anderen. Sie zu verlieren, würde sein, als sterbe Sophia ein zweites Mal. Und genau das würde er nicht überstehen.
Der Vormittag verging. Wie immer standen die Gäste zu unterschiedlichen Zeiten auf, bedienten sich selbst in der Küche. Doch am frühen Nachmittag waren sie alle auf den Beinen, trafen wie verzückt die Vorbereitungen für das traditionelle Schachspiel.
Lorenz verkroch sich in seine Kammer, setzte sich an den Schreibtisch, las Briefe aus alten Zeiten und gab sich Mühe, das Lachen und die lüsternen Laute aus dem Garten zu überhören. Aus Erfahrung wusste er, dass es Stunden dauern konnte, bis alle Figuren „geschlagen“ waren. Die Regeln des Räuberschachs, bei der nicht der König, sondern alle gegnerischen Figuren geschlagen werden mussten, garantierten, dass jeder Spieler mindestens einmal zu seinem Vergnügen kam. Es war, als hätte man die Regeln eigens für diese spezielle Art der Umsetzung geschaffen.
Vielleicht war dem so. Das königliche Spiel – ein Spiel der Verlogenheit. Regeln von himmlischer Klarheit, hinter denen sich in Wirklichkeit das wollüstige, hemmungslose Treiben der Hölle verbarg. Schwarz gegen weiß wurde zur dreisten Vereinigung von Schwarz mit Weiß …
Die Lustschreie wurden lauter. Lorenz presste die Hände auf die Ohren und nahm sie einige Minuten später wieder weg. Warum gelang es ihm heute nicht, die Laute durch Konzentration auszublenden, wie er es sonst vermochte? Er erkannte sogar die Stimmen der einzelnen, das schweineartige Grunzen des Grafen von Sommerbühl, das hohe, anhaltende Kreischen der Gräfin von der Wart, jetzt das von triumphierendem Lachen durchzogene Keuchen seines eigenes Sohnes Roland, und etwas später dann …
Lorenz sprang auf und schleuderte den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, beiseite, um schneller am Fenster zu sein. Die Flügel stieß er auf, schmetterte sie mit solcher Wucht gegen die Außenwand, dass die kleinen Scheiben zersplitterten und die Scherben an der Wand hinabregneten.
Die Schachspieler zuckten bei dem Lärm zusammen und sahen ohne Ausnahme zu ihm herauf.
Auch jene beiden, die noch in engster Umarmung auf den schwarzweißen Tafeln lagen. Den männlichen Part spielte der alte Hubert, den vermutlich die Erwartung des regelmäßig stattfindenden lustvollen Treibens im Garten von Schloss Falkengrund am Leben hielt. Seine Partnerin trug ein schneeweißes Kleid. Sie lag in einem zitternden Berg aus Rüschen, und die duftigen Röcke begruben sie beinahe. Als sich der alte Hubert von ihr löste, glaubte Lorenz rote Flecken auf den Unterröcken zu erkennen.
Blut?
Auf der Unterwäsche?
Das Gesicht der Frau kam unter den Stoffschichten zum Vorschein. Das Blut stockte in seinen Adern. Gott, das war …
„Ich habe mich entschieden!“, rief die Frau. Sie keuchte. Ihre roten Haare waren zerwühlt. „Zum zweiten Mal. Vielleicht gefällt dir diese Entscheidung besser, nachdem du meine erste nie akzeptiert hast, mein geliebter Gatte!“
Ja. Sie war es. Katharina. Kein Zweifel. Seine geliebte Frau Katharina. Und das Kleid, das sie trug, war nicht irgendeines. Ein Hochzeitskleid. Sophia hatte es getragen.
Das Blut an ihren Röcken – es konnte nur bedeuten …
„Man sollte es mit der Jungfräulichkeit nicht übertreiben“, schrie sie. „Man verliert Freunde, wenn man ihnen gegenüber zu geizig ist.“ Sie lachte irr und schwenkte die Arme. „Ich bin noch nicht aus dem Spiel – ich habe ihn geschlagen, nicht umgekehrt.“ Sie schlang die Arme um Hubert, der hastig die Hosen über seine faltigen Schenkel zog. „Ich werde noch viele gute Züge machen. Hast du nicht immer gesagt, Lorenz, Schach würde dich nicht interessieren? Weil dabei kein Blut fließt? Du hattest ja so recht, mein Gemahl. Das Blut macht den Unterschied …“
Lorenz bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
Sie musste den Verstand verloren haben. Am meisten von allem
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