Der Blutkelch
weiterhelfen würde, wenn wir wüssten, was ihn bewogen hat, deine Bibliothek aufzusuchen. Vielleicht erfahren wir heute Nachmittag bei einem Gespräch mit deinem Bibliothekar mehr darüber.« Fidelma erhob sich. »Im
refectorium
nimmt man schon das Mittagsmahl ein. Wir sollten uns einen kleinen Imbiss gönnen und danach aufbrechen.«
»Dagegen ist nichts einzuwenden«, sagte Cumscrad.
Im
refectorium
war niemand mehr, und so wurde es ein bescheidenes Mahl für die vier – kaltes Fleisch und Käse und kühles Wasser aus dem Springbrunnen. Im Hinausgehen blieb Cumscrad kurz stehen.
»Ich habe noch eine Kleinigkeit mit Abt Iarnla zu besprechen. Wir sehen uns gleich am Tor wieder.«
»Wir müssen auch noch ein paar Dinge aus dem Gästehaus holen, also bis dann, wir treffen uns im Hof.«
Sie gingen los und begegneten Gormán, der offensichtlich auf sie wartete. Fidelma hatte sogleich ein schlechtes Gewissen, er könnte nichts gegessen haben, doch er versicherte ihr, beim Läuten der Glocke ins
refectorium
zum Mittag gegangen zu sein.
»Bitte Bruder Echen, unsere Pferde zu satteln, und halte dich selbst bereit, Cumscrad und sein Gefolge zu begleiten. Kann sein, wir sind ein oder zwei Tage unterwegs.«
»Geht es nach Fear Maighe, Lady?«, fragte Gormán leicht überrascht.
»Ja.«
»Dachte ich mir doch, dass da etwas im Busch ist, denn der Verwalter kam vorhin in den Hof gerannt und sah sehr verärgert aus. Er schnappte sich Glassán und sprach heftig auf ihn ein. Glassán holte daraufhin ein Pferd aus dem Stall und war auf und davon.«
Stirnrunzelnd hörte Fidelma Gormán zu. Sie hatte überhaupt nicht mehr an Bruder Lugna gedacht und ihn auch nicht wieder zu Gesicht bekommen, seit er empört aus dem Gemach des Abts gerauscht war.
»Mit ›auf und davon‹ meinst du wohl, Glassán galoppierte vom Gelände? Hast du mitgekriegt, welche Richtung er einschlug?«
»Nur, dass er wie der Wind durch die Tore fegte. Niezuvor habe ich jemand mit so einem Tempo losreiten sehen. Ob er nach Osten oder Westen ritt, kann ich nicht sagen.«
»Ist auch egal, ist vielleicht gar nicht von Bedeutung. Also kümmere dich bitte um die Pferde.«
Sie ging mit Eadulf ins Gästehaus, wo sie einige Sachen in ihre Beutel packten für den Fall, dass sie länger wegbleiben würden als gedacht. Bei ihrer Rückkehr standen Gormán und Bruder Echen bereits mit gesattelten Pferden vor den Stallungen – das Pferd Aonbharr für Fidelma und das kleine gedrungene für Eadulf.
Bruder Echen zu sehen kam Fidelma sehr gelegen, denn sie wollte ihn noch etwas fragen. »Du hast neulich Gormán gegenüber erwähnt, dein Vetter hätte dir erzählt, dass ein Gebäude, an dem Glassán in Laighin arbeitete, einstürzte und mehrere Menschen unter sich begrub, die so den Tod fanden.«
»So und nicht anders ist es geschehen«, erwiderte der Stallmeister.
»Weißt du zufällig auch, wo sich das zugetragen hat?«
»Im Land der Uí Dúnlainge«, erwiderte Bruder Echen ohne jegliches Zögern. »Das ist im Süden des Königreichs.«
»Im Süden? Kannst du es noch etwas genauer sagen?«
Er überlegte kurz und zuckte dann mit den Achseln. »Tut mir leid, mein Vetter wusste nur, dass es ein Stammesfürst war, der seinen Wohnsitz an der Südküste hatte. Es ist außerdem zehn Jahre her. Man schrieb Glassán nur indirekt die Schuld dafür zu; es hieß, er habe die vertraglichen Bedingungen nicht eingehalten, hätte seine Aufsichtspflicht vernachlässigt und dann versucht, die Schuld auf andere zu schieben.«
Fidelma wollte noch eine weitere Frage stellen, aber da kam schon Cumscrad mit Abt Iarnla aus dem
refectorium
. Bruder Echen murmelte eine Entschuldigung, eilte in dieStälle und kehrte mit dem Pferd des Stammesfürsten zurück.
Sie saßen auf. »Glaubst du, es ist mehr als ein Zufall, dass Bruder Donnchad die Bibliothek von Fear Maighe aufsuchte und dann eine Abschrift des Textes, an dem er interessiert war, gestohlen wurde?«, fragte Eadulf Fidelma.
»Ich glaube an derartige Zufälle nicht, Eadulf«, erwiderte Fidelma. »Wir sollten den Gedanken aber für uns behalten.« Sie warf einen Blick zu Gormán, der tat, als wäre er mit dem Zaumzeug seines Pferdes beschäftigt. »Wir erklären dir das später, Gormán.«
»Mir ist aufgefallen, dass Cumscrad seinen Bibliothekar nicht
scriptor
nennt«, bemerkte Eadulf.
»Die Bibliothek von Fear Maighe ist noch weltlich.«
Viele Berufe in den Abteien wurden von Mönchen ausgeübt, aber noch gab es dort Dichter,
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