Der Blutkelch
Ärzte, Rechtsanwälte und andere, die nicht das Mönchsgelübde abgelegt hatten. Ebenso gab es viele Bibliotheken, die nicht zu den neuen Abteien gehörten.
»Das wundert mich. Ich hätte gedacht, Fear Maighe wäre viel zu abgelegen, um überhaupt eine eigene Bibliothek zu haben, geschweige denn eine, die nicht Teil einer frommen Stiftung ist. Ich dachte, die Glaubensbrüder hätten alle geistigen Bereiche in ihrer Macht.«
»Es wäre jammerschade, wenn man uns eines Tages vorschreibt, wie wir zu denken und zu handeln haben. Dann gäbe es kaum noch unterschiedliche Sichtweisen auf der Welt«, meinte Fidelma. »Doch im vorliegenden Fall stellt sich uns eine merkwürdige Sache dar. Bruder Donnchad interessierte sich für die Abschrift eines Werkes von Celsus. Bruder Donnán behauptet, eine Erwiderung darauf von Origenes gesehen zu haben, doch hätte man die nach Ard Mór in die Abteigeschickt. Was hat das zu bedeuten? Cumscrad sagt, das Celsus-Original befände sich in Fear Maighe. Wir können nur hoffen, dass wir bald mehr wissen.«
»Wie mag Bruder Donnchad davon erfahren haben, dass es in Fear Maighe die Handschrift gab? Jedenfalls ist er dorthin gegangen, um sie zu lesen. Wenige Tage später wurde er ermordet. Als Nächstes hören wir, dass man eine Abschrift des Werkes von Celsus für die Bibliothek in Ard Mór angefertigt hat, aber der Kahn, mit dem sie dorthin geschafft werden soll, wird überfallen und das Buch gestohlen.«
»Liegt Ard Mór nicht im Stammesgebiet der Uí Liatháin?«
»Es ist das Gebiet der Déisi, befindet sich aber auf der anderen Seite des Flusses und liegt damit genau gegenüber den Ländereien der Uí Liatháin – es ist just der Große Fluss, den wir von hier kennen.«
»Was hat es mit dem anderen Buch, den Gedichten von Dallán Forgaill, auf sich?«, fragte Eadulf.
»Das ist in diesem Zusammenhang nicht von Belang. Die Diebe waren hinter dem Werk von Celsus her, da bin ich mir ganz sicher. Dalláns Gedichte sind keine Gefahr für den Glauben.«
Cumscrad kam auf sie zu geritten. »Reite mit mir, Fidelma. Meine Krieger warten draußen vor der Abtei und werden uns Geleitschutz bieten.«
Und so war es. Vor den Toren der Abtei saß ein halbes Dutzend Krieger im Gras und vergnügte sich bei einem Glücksspiel, bei dem Würfel geworfen wurden. Als die Krieger ihren Gebieter sahen, sprangen sie auf und eilten, die Pferde zu holen, die nahebei angepflockt waren. Im Nu hatten sich zwei an die Spitze gesetzt, während die anderen sich hinten einordneten, und schon ritt der ganze Trupp Richtung Westen los.
Der Nachmittagsritt nahm einen angenehmen Verlauf, die Pferde hielten ein gutes Tempo, und bald hatten sie Lios Mór hinter sich gelassen; die Straße, an der die Abtei lag, verlief parallel zum Südufer des Großen Flusses. Fidelma ritt neben Cumscrad, dahinter folgten Eadulf und Gormán. Selbst Eadulf, kam gut zurecht, sein stämmiges und sanftmütiges Pferd bereitete ihm keine Schwierigkeiten. So konnte auch er den Ritt in der milden Nachmittagssonne genießen. Die Höhenzüge südlich von ihnen lagen friedlich da, große runde Hügel mit einem Teppich dichter Wälder. Rinnsale und Bäche strömten von überall herab und ergossen sich in den An Abhainn Mhór, den Großen Fluss. Es gab der Zuläufe so viele, dass man keine Sorge um das Tränken der Pferde haben musste.
»Jetzt ist mir klar, warum ihr ihn einfach ›Großer Fluss‹ nennt«, sagte Eadulf und wies auf die herabstürzenden Bäche. »Er ist wirklich groß, wenngleich ich auf meinen Reisen breitere Ströme gesehen habe.«
Gormán schüttelte grinsend den Kopf. »Mit seiner Breite hat der Name nichts zu tun, Bruder Eadulf.«
»Dann ist es eben die Länge. Er soll ja in den Bergen weit Richtung Westen fließen und sich dann südwärts wenden, um sich schließlich ins Meer zu ergießen.«
»Auch daher rührt sein Name nicht. Die Bezeichnung ›Großer Fluss‹ ist eine Umschreibung, kein wirklicher Name.« Eadulf sah ihn fragend an. »In alten Zeiten, als wir noch nicht den Neuen Glauben hatten, hieß der Fluss Nemh, was so viel bedeutet wie unermesslich, heilig und himmlisch. Darin liegt seine Größe.«
Eadulf erkannte das Wort, es war auch die Bezeichnung für eine heilige Person.
»Ein heiliger Fluss?«, fragte er.
»Viele Flüsse in unserem Land werden nach alten Göttern und Göttinnen genannt und sind damit selbst heilig.«
»Das habe ich auch in anderen Ländern erlebt«, meinte Eadulf.
»Ich bin leider nie
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