Der Blutkönig: Roman (German Edition)
sie holten. Carina erwischte sich dabei, dass sie ganz in Carroways neuester Ballade versank, einer traurigen Melodie über ein munteres junges Mädchen, das von Räubern getötet wurde. Erst am Ende fiel ihr auf, dass es eine Ode an Tris’ Schwester Kait gewesen war.
Carina beschloss, eine Pause einzulegen, um ihren schmerzenden Rücken zu strecken und zog sich einen Stuhl heran, um Carroway dabei zuzusehen, wie er an seiner Laute neue Fingersätze ausprobierte. Er versuchte einen Akkord und dann einen anderen, mit verschiedenen kleinen Änderungen, bis er den passenden gefunden hatte. Nicht zum ersten Mal war Carina zutiefst beeindruckt vom musikalischen Talent des Barden.
Sie klatschte in die Hände, als er aufhörte zu spielen und Carroway grinste schüchtern. »Du bist sehr freundlich.« Er schob seinen Stuhl zurück. »Aber die Lieder sind immer noch zu ungeschliffen, um sie wirklich vortragen zu können.«
Carina lehnte sich nach vorn an den Tisch und legte ihr Kinn auf die gefalteten Arme. »Weißt du, als du gespielt hast, wurde mir klar, dass du und Ban immer noch die Geheimnisvollsten unter uns sind.«
Carroway lachte leise. »Geheimnisvoll? Nun, das klingt ziemlich romantisch.«
Carina lächelte. »Aber ich meine das so. Ich habe eine Menge über Tris und Jonmarc erfahren, aber du und Ban, ihr habt sehr wenig gesagt, außer über eure Flucht in der Nacht des Staatsstreichs.« Sie sah von der Laute zu Carroway, direkt in seine Augen. »Ich bin nicht überrascht, dass ein Barde von deinem Talent bei Hofe ist. Und Ban ist ein guter Soldat und ein loyaler Hauptmann in der Armee. Aber ihr steht Tris näher, als diese Rollen es vermuten lassen. Also, wie lautet deine Geschichte?«
Carroway setzte seine Laute ab und nahm einen Schluck aus seinem Portweinglas. Er schwieg so lange, dass Carina sich schon fragte, ob sie etwas Falsches gesagt hatte. »Meine Geschichte ist nicht sehr außergewöhnlich«, antwortete Carroway endlich. »Und Ban denkt wahrscheinlich dasselbe.«
Er fuhr sich mit der Hand durch sein langes blauschwarzes Haar. Carina wunderte sich, warum der hübsche junge Mann so völlig unberührt wirkte, wo die Hofdamen doch um seine Gunst wetteiferten. Auf der Straße, zerzaust und schmutzig, hatte Carroway unzähligen Tavernenmädchen Bier und eine Mahlzeit entlockt und mit seiner Musik als Bezahlung dafür gesorgt, dass die Freunde Unterkunft und Futter für die Pferde bekommen hatten. Carroway war so groß wie Tris, aber dünner im Vergleich, auch wenn Carina wusste, dass der Barde viel kräftiger war, als er aussah. Mit seinem zierlichen Knochenbau und den langen Fingern machte er in den üppigen Hofroben, die er so gerne trug, eine gute Figur. Seine hellblauen Augen unter den langen Wimpern waren so hübsch wie die eines Mädchens und seine klassisch-feinen Gesichtszüge erinnerten Carina an die Skulpturen der legendären Gefährten der Lady. Doch trotz all der Schönheit und dem Talent Carroways spürte Carina eine Verletzlichkeit in ihm, die sie faszinierte.
»Bans Vater war ein General unter König Bricen. Er wurde verletzt und verließ die Armee, um sich auf seinen Landsitz im Hochland zurückzuziehen. Nicht ganz so weit im Norden wie die Grenzlande, aus denen Jonmarc stammt, aber schon weit in den nördlichen Bergen. Bricen und Lord Soterius waren berühmt für ihre gemeinsamen Jagden. Ich wüsste nicht, dass Ban sich je über eine andere Karriere Gedanken gemacht hätte als darüber, in die königliche Wache einzutreten.
Ban wurde als Knappe an König Bricens Hof gegeben, als er gerade alt genug dafür war. Tris kannte ihn da schon von den Jagden – Bricen besaß ein Jagdschlösschen nördlich von Shekerishet, nicht sehr weit vom Landsitz von Soterius’ Vater entfernt, und Ban und Lord Soterius waren in der Regel ebenfalls dort.« Carroway lächelte traurig. »Tris und Kait verbrachten so viel Zeit wie möglich in diesem Schlösschen. Tris hielt dort von Jared entfernt seine Hunde – und um ehrlich zu sein, er und Kait bevorzugten den Landsitz auch, weil sie dort nicht in der Nähe von Jared waren. Jared brachte nie die nötige Geduld für die Jagd auf, auch wenn er Lust am Töten hatte.«
Carroway seufzte bei den Erinnerungen an ein Leben, das nun für immer vorbei war. »Die Ländereien meines Vaters lagen zwischen Bricens Jagdschloss und dem Landsitz Lord Soterius’. Ich war der Älteste von sechs Kindern. Mein Vater erkannte früh, dass meine Begabung die Musik war. Also
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