Der Blutkönig: Roman (German Edition)
für die Abreise. »Es scheint, als wärt ihr fertig für die Abreise. Ich werde euch begleiten.«
Nyalls Augen wurden groß wie Suppentassen. »Keine Sorge, Nyall«, alberte Vahanian. »Gabriel sorgt auf Reisen schon für seinen eigenen Proviant.«
»Da hole doch die Dunkle Lady meine Seele«, fluchte der Flusskapitän.
Gabriel sah den sich unbehaglich windenden Bootsmeister durchdringend an. »Du solltest beten, dass sie das nicht tut.« Er wandte sich wieder an Tris. »Wir haben wenig Zeit und einen weiten Weg vor uns. Lass uns aufbrechen.«
Jolie erwartete sie am Fluss. Sie hatte die Gefährten bereits mit neuen Umhängen und Kleidern ausgestattet und darauf geachtet, dass Nyall all den Proviant hatte, den sie benötigten. Jetzt saß sie in ihren wollenen Umhang gekuschelt am Ufer und beobachtete ihre letzten Vorbereitungen, als hinge der Erfolg ihrer Mission von ihrer Aufmerksamkeit ab. Als sie an Bord gingen, wünschte sie jedem einzelnen von ihnen Lebewohl. Dann küsste sie Vahanian auf beide Wangen und ermahnte ihn, vorsichtig zu sein, auch wenn ihre Stimme und ihr Gesichtsausdruck deutlich zu erkennen gaben, dass sie nicht erwartete, dass er das tun würde. Jolie gab auch Carina einen Kuss auf die Wange und sagte etwas, dass die anderen nicht hören konnten, aber die Heilerin knallrot werden ließ. Dann streifte ihr Blick mit einem mütterlichen Schmunzeln Vahanian.
Tris, der als letzter an Bord ging, hielt an und nahm Jolies Hand in seine. »Ich danke dir für alles«, sagte er. »Es war ein Risiko für dich, uns aufzunehmen.«
»Der Tag, an dem ich anfange, mir wegen Risiken Gedanken zu machen, ist der Tag, an dem ich aus diesem Geschäft aussteige. Die Hand der Lady sei über euch.«
Die Unwahrscheinlichkeit, dass alles gut ausgehen würde, lag unausgesprochen zwischen ihnen. »Na los«, drängte Jolie und brach das Schweigen. »Ich werde nach Nachrichten von euch Ausschau halten. Ich werde mich umhören. Jolie hört alles.«
Nyall schob die Laufplanke fort. Tris und die anderen nahmen ihre Plätze ein, die langen Stangen in der Hand und der Flusskapitän steuerte sie in die Fahrrinne hinaus. Die Lichter von Jolies Hütte blieben noch für einige Zeit sichtbar, bis der Fluss seinen Lauf änderte und sie tiefer nach Margolan hineintrug.
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
E INIGE T AGE SPÄTER , kurz vor der Morgendämmerung entdeckten sie ein Dutzend Soldaten, die nicht weit entfernt vom Ufer an der margolanischen Seite entlangritten. Die gut bewaffneten Männer trugen weder eine Fahne noch eine erkennbare Uniform, was Tris’ Misstrauen weckte. Tris und Vahanian steuerten das Boot ins flache Wasser am Ufer und warteten in der dünnen Deckung des Schilfs und der überhängenden Uferbäume darauf, dass die Patrouille verschwand. Den Rest der Nacht reisten sie schweigend und auf die Flussufer achtend. Auch wenn sie keine Patrouillen mehr sahen, die Lager von zerlumpten Durchreisenden tauchten immer wieder am Waldrand auf, noch mehr Flüchtlinge, die aus Margolan flohen, egal auf welcher Straße und wohin. In der Nacht reiste Gabriel mit ihnen, seine erweiterte Sicht half Nyall durch die Untiefen und Felsen des schnell dahinfließenden Flusses. Tagsüber verschwand Gabriel und überließ es ihnen und ihrer Kunst, durch den schwierigen Fluss zu navigieren.
Je tiefer sie nach Margolan hineinkamen, desto mehr fühlte Tris die Geister seines Heimatlandes an seinem magischen Sinn zerren. Ihre Ruhelosigkeit spiegelte sich in seiner eigenen. Die Geister des Flusses glitten nahe dem Ruderboot durchs Wasser, immerhin so substantiell, dass die anderen sie durch den Frühlingsnebel über dem Wasser hindurch erkennen konnten. Tris fürchtete die nächtlichen Albträume und blieb so lange wach, bis Carina ihn schalt und die Erschöpfung ihm keine Wahl mehr ließ. Aber er konnte den Träumen nicht entkommen, immer war Kaits klagender Ruf und die Erinnerung an ihren verzweifelten Blick in seinen Gedanken. Schlimmer noch, die Bilder der dunklen Vision verfolgten ihn in den meisten Nächten. Schließlich ließ er zu, dass Carina ihre Heilermagie darauf verwandte, ihn in einen tiefen Schlaf zu versetzen, während Gabriel Wache hielt. Es war der erste traumlose Schlaf seit mehr als zwei Wochen.
S IE LEGTEN MIT dem Boot am Ufer eines verlassenen Fischerdorfes an, das im Licht des abnehmenden Mondes dalag. Ein Gefühl der Bedrohung überkam Tris, als er Carroway half, das schwere Boot weit genug auf den Strand zu ziehen, dass die
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