Der Blutmond
Bestie, profitieren und sie somit wieder zusammenfinden würden. Wäre erst der blauäugige Quälgeist an seiner Seite nicht mehr da, hätte sie freie Bahn gehabt, ihn wieder für sich zurückzugewinnen. Nun sah die Lage jedoch ganz anders aus, denn Baddos Plan war es von Anfang an gewesen, keinen einzigen Vampir zu verschonen.
Wie auch? Schließlich hatte er keinen Einfluss darauf, wen die elektromagnetischen Schwingungen töten und wen sie am Leben lassen sollten. Einmal durch das Ritual in Gang gesetzt, gab es kein Entkommen mehr. Für Niemanden.
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Vier der kräftigsten Männer aus dem Rudel wurden von Colin geschickt, um den zweiten Anwärter für das Ritual zu holen. Mimma hatte er bereits vollständig geschröpft und vom Kreuz abnehmen lassen. Er wollte keine Zeit vergeuden, denn schon bald standen der Mond, die Sonne und die Erde in der günstigen Konstellation, die er benötigte. Dann konnte er mit dem einzigarten Kraftfeld, das sie erzeugten, die Todesschwingungen in Gang setzen.
Raven saß am Boden und verhielt sich ruhig, als sie die Zelle öffneten. Als man ihn aufforderte sich zu erheben, leistete er ihnen Folge und gab sich klein und schwächlich, damit niemand seine begonnene Transformation bemerkte. Keiner schöpfte Verdacht, als sie den scheinbar schlafenden Henry erblickten. Wie hätten sie auch ahnen sollen, dass er seine Lebensenergie geopfert hatte, um seinem Ziehsohn die Möglichkeit zu schenken, das zu werden, was ihm von Colin vorhergesagt hatte.
Die Evolution hatte schon seit Menschengedenken immer neue Arten hervorgebracht, die sich behaupten mussten. Die Schwächeren wurden von den Stärkeren dann verdrängt. Ravens Erwachen läutete einen Umbruch ein, der die Machtverhältnisse der Welt neu ordnen sollte - hoffentlich zum Guten. Der Glaube daran war Henry Blacks Beweggrund für diesen drastischen Schritt gewesen. Sein freigewählter Tod war dadurch zugleich zu einer Art Schöpfungsakt geworden.Die Männer packten Raven und geleiteten ihn zum Schauplatz vor der Höhle, auf dem ein stattliches Feuer brannte. Das Holz der geheiligten Esche verbreitete einen süßlich aromatischen Duft. Er fühlte sich wie bei einer Hinrichtung, die reichlich von schaulustigen Werwölfen besucht war. Es fehlten nur noch Strick, Galgen und der Henker, um der Szenerie den letzten Schliff zu verleihen. Sämtliche Blicke waren gebannt auf ihn gerichtet, als man ihn zu seinem Bestimmungsort brachte. Ein Kreuz aus massivem Holz. Das martialische Ritual beinhaltete sowohl christliche, jüdische als auch germanische Elemente. Er wurde zum Märtyrer, wie einst Jesus Christus, zum Propheten Muhammed und zur gehängten Gottheit Odin. Eine Opferung, wie man sie in den schriftlichen Zeugnissen der Thora, der Bibel, des Korans und der Edda nachlesen konnte. Ravens Tot war nur eine weitere Geschichte, die irgendwann in der Zukunft zu einer märchenhaften Erzählung werden und grade noch genug Unterhaltungswert für kleine Kinder haben würde. Da erblickten seine wachsamen Augen einen reglosen Körper am Fuße des Kreuzes. Ihm stockte der Atem, als er erkannte, dass es Mimma war. Ihre Haut hatte einen seltsam gräulich fahlen Farbton angenommen. Ihr Gesicht war maskenhaft, wie das einer Wachsfigur. Selbst ihr langes Haar wirkte unecht, wie eine Perücke. Es hing ihr in wirren Strähnen im Gesicht und hatte jeden Glanz verloren.
War sie bereits tot, oder nur ohnmächtig?
Raven fühlte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg. Bei dem Gedanken, dass Mimma nicht mehr am Leben sein könnte, wurde ihm ganz elend zumute. Er schluckte mehrmals und versuchte die Wut, die in ihm aufstieg und zu kochen begann, zu unterdrücken. Seine Muskeln zuckten unkontrolliert und wollten seinem Zorn, den er verspürte, physischen Ausdruck verleihen. Er wollte kämpfen, sich rächen, doch noch sah er keine günstige Gelegenheit. Von Werwölfen umzingelt und in die Enge getrieben. Von den Vampiren Jinx und Elester war nichts zu sehen.
Wie sollte er seine Transformation vollenden, wenn er nicht an Vampirblut herankommen konnte?
"Was hast du mit Mimma gemacht? Ist sie etwa tot?", fragte er Colin mit gepresster Stimme. Er knirschte mit den Zähnen, denn sein selbstgefälliger Blick erzürnte ihn.
"Alles was bis dahin ihre Existenz ausmachte, habe ich in dieser Karaffe aufgefangen. Eine dickflüssige rote Soße. Was denkst du denn, Brüderchen?Ein Vampir ohne Blut ist bloß noch eine leere Hülle. Natürlich ist sie tot!", erwiderte er schroff und
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