Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
Vom Netzwerk:
ging in die Hocke und hob die Reste einer zerbrochenen Figur auf, die auf der Fensterbank gestanden hatte.
    »Sieh nur«, sagte sie mit schwankender Stimme. »Der Kopf ist abgebrochen. Das ist ein böses Vorzeichen.«
    »Aber Greetje, das ist Unsinn«, versuchte er sie zu trösten. Er legte seine Hand auf ihren Arm. »Wie ist das passiert?«
    »Eine Möwe war plötzlich am Fenster. Sie kreischte und flatterte herum. Irgendwie ist sie mit einem Flügel gegen die Figur gekommen und hat sie heruntergeworfen. |429| Dabei ist der Kopf abgebrochen. Verstehst du denn nicht? Es hat etwas zu bedeuten, dass die Figur den Kopf verloren hat. Warum ausgerechnet hier bei uns? Warum nicht woanders? Und warum eine Möwe? Störtebekers Schnigge trägt diesen Namen. Und du willst mit ihr auf Kaperfahrt gehen. Das darfst du nicht. Du musst hierbleiben.«
    »Beruhige dich. Die Möwe wird sich verirrt haben. Vielleicht hat sie geglaubt, hier Futter finden zu können. Du weißt, dass es keine bösen Vorzeichen gibt, sondern dass Gott unser Schicksal bestimmt. Gerade deshalb liebe ich dich ja so.« Behutsam strich er ihr über das Haar. »Störtebeker will mich sehen. Er möchte vermutlich einen Rat von mir.«
    »Weil er weiß, wie du kämpfen kannst, will er dich an Bord haben, wenn er andere Schiffe angreift«, sagte sie beharrlich. »Du darfst nicht mitfahren. Vergiss das Geld, das ihr dabei erbeuten könnt. Wir brauchen es nicht.«
    »Oh doch«, protestierte er. »Wir haben nichts. Absolut nichts. Wovon sollen wir leben? Hast du schon vergessen? Ich möchte mit dir zusammen eine Pferdezucht haben. Ohne Geld geht das nicht.«
    »Was nützen Geld und Pferdezucht, wenn du tot bist?« Sie klammerte sich an ihn. »Die Hanse hat eine Flotte aufgeboten, um die Freibeuter zu bekämpfen. Sie wird euch jagen, und wenn sie euch hat, wird sie euch alle auf den Grasbrook bringen. Hast du nicht genug durchgemacht? Möchtest du noch einmal vor Thore Hansen knien und ihm deinen Hals bieten, damit er dir den Kopf abschlagen kann?«
    »Vielleicht finden wir einen anderen Weg«, sagte er sanft und ruhig. »Du hast recht.«
    »Ich könnte mit Patienten arbeiten und so viel Geld verdienen, dass wir uns ein Pferd für die Zucht kaufen können.«
    |430| »Ein Pferd reicht nicht, Liebes«, erklärte er lächelnd. »Es müssen zwei sein. Mindestens.«
    »Du weißt, was ich meine. Es gibt einen Weg. Bitte, ich flehe dich an, verzichte auf die Kaperfahrt.« Sie stellte die Holzfigur auf die Fensterbank.
    »Also gut«, lenkte er ein. »Ich werde Störtebeker und Gödeke Michels sagen, dass ich nicht an ihren Beutezügen teilnehmen werde. Hoffentlich verstehen sie mich.«
    Er zog sie an sich, küsste sie zärtlich und ging. In der Tür blieb er stehen und sah sie noch einmal an. Ihre Augen waren dunkel vor Sorge und Trauer.
    Wenig später saß Hinrik Störtebeker und Gödeke Michels im Wirtshaus gegenüber.
    »Was gibt es?«, fragte Hinrik, als er sich zu den beiden gesellte.
    »Es geht um den Verräter, der uns um unser Vermögen gebracht hat«, antwortete Störtebeker, der wie Michels einen großen Krug mit Bier vor sich hatte. »Es ist sinnlos, wenn wir weitermachen, ohne vorher geklärt zu haben, wer es ist.«
    »Ich habe darüber nachgedacht«, setzte Hinrik an. »Der bronzene Ritter war dabei, als der Sperberhof überfallen wurde. Er hat meinen Vater in der Nähe von Itzehoe ermordet, und ich habe ihn in jener Nacht gesehen, als ich um Haus und Hof gebracht worden bin. Es muss irgendeine Verbindung zu dieser Stadt geben. Vielleicht kann uns Graf Pflupfennig einiges über ihn erzählen.«
    »Ihr meint also, wir sollten zu ihm fahren und mit ihm reden?«
    »Ja, das meine ich. Vermutlich ist das unsere einzige Chance, irgendetwas über den Bronzenen zu erfahren. Ich wüsste nicht, wo wir sonst suchen sollten. Wir haben keine andere Spur.«
    »Graf Pflupfennig soll einen Schlaganfall erlitten haben |431| und gelähmt sein«, warf Gödeke Michels ein. »Vielleicht kann er gar nicht reden.«
    »Spööntje hat gesagt, dass er gerade mal den Kopf und die Finger einer Hand bewegen kann«, bestätigte Hinrik. »Sie hat nichts davon gesagt, dass er die Sprache verloren hat. Allerdings hört kaum jemand auf ihn. Die Frauen rächen sich an ihm für all die Gemeinheiten, die er sich ihnen gegenüber erlaubt hat, als er noch gesund war.«
    »Wir versuchen es«, entschied Störtebeker. »Wir fahren mit der ›Möwe‹ die Stör hinauf bis nach Itzehoe und gehen dann zu Fuß

Weitere Kostenlose Bücher