Der Blutrichter
Frau. Eine begehrenswerte Frau.«
»Ich liebe sie, Herr«, beteuerte Hansen. »Ihr Vater und ich waren uns bereits einig. Sie sollte mir gehören. Aber dann kam Hinrik vom Diek und hat alles durcheinandergebracht.«
Von Cronen stand auf, ging zum Fenster und sah lange hinaus. Thore Hansen wagte es nicht, aufzustehen. Er verharrte in seiner demütigen Haltung auf dem Boden, bis der Richter ihm befahl, sich zu erheben. Mit hängenden Schultern und tief gesenktem Kopf bezeugte ihm der Henker, dass er sich ihm bedingungslos unterwarf.
»Nun gut, ich werde dafür sorgen, dass du dir Greetje Barg ins Bett legen kannst«, versprach Wilham von Cronen und wandte sich seinem Besucher zu. »Zurzeit wissen wir allerdings nicht, wo sie ist. Wir werden nach ihr Ausschau halten und sie für dich finden. Vorausgesetzt, du erweist mir einen kleinen Dienst.«
»Ich bin Euer Diener, Herr. Gebt mir einen Befehl, und ich werde ihn zu Eurer Zufriedenheit ausführen«, versprach Thore Hansen und wagte es zum ersten Mal, den Kopf zu heben.
»Im Hause des Arztes Hans Barg, das jetzt verlassen ist, gibt es einige Papiere. Rezepturen und anderes. Sie könnten einem meiner Freunde zum Verhängnis werden. Damit das nicht geschieht, wirst du das Haus aufsuchen und mir alle schriftlichen Aufzeichnungen bringen, die du findest.«
»Aber ich kann nicht lesen und schreiben, Herr«, gab der Däne zu bedenken.
»Das spielt keine Rolle. Du sollst nicht lesen, was Hans Barg aufgezeichnet hat, sondern mir alles Schriftliche übergeben. Du weißt hoffentlich, wie eine Schrift aussieht.«
»Ja, Herr«, beteuerte Thore Hansen eilfertig. »In der |427| Kirche habe ich Schriften gesehen. Bücher. Sie waren sehr schön. Mit Bildern von Jesus Christus, unserem Herrn.«
Wilham von Cronen lächelte kaum merklich. Ihm war durchaus recht, dass der Henker nicht lesen konnte. So einen wie ihn hatte er gesucht. Er sollte die Kastanien für ihn aus dem Feuer holen, ohne dabei zu erkennen, wie gefährlich das Material für ihn, den Richter, war.
»Du wirst Nacht für Nacht in das Haus gehen und alles durchsuchen. Vielleicht hat Hans Barg seine Aufzeichnungen im Fußboden oder hinter einer Wand versteckt. Du wirst alles aufbrechen und keinen Winkel auslassen. Was du findest, bringst du zu mir. Ich werde es hier im Kamin verbrennen.«
»Ich werde alles tun, was Ihr befehlt, Herr.«
»Wenn diese Arbeit erledigt ist, wirst du dich auf die Suche nach Hinrik vom Diek machen. Du wirst ihn töten. Ganz gleich wie – du wirst ihn töten. Wir wissen, dass er mit Störtebeker zusammen war, und wir kennen jemanden, der dir vermutlich sagen kann, wo vom Diek sich versteckt.«
Der Richter legte ihm die Hand an den Arm und sah ihm fest in die Augen.
»Für deine Dienste wirst du belohnt werden. Vor allem wird jener Zeuge verschwinden, der dich auf der Trostbrücke gesehen hat. Danach wird dir niemand mehr den Mord an einem Staatsdiener anlasten.«
»Ich danke Euch, Herr«, stammelte Thore Hansen. Wieder liefen ihm die Tränen über die Wangen, und er schniefte.
»Und dann könntest du mir einen weiteren Gefallen tun«, fuhr Wilham von Cronen fort, öffnete sich die Hose und ließ sie auf seine Füße fallen.
Gehorsam rutschte der Henker zu ihm heran, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen.
|428| Der nächste Morgen war ungewöhnlich hell und klar. Voller Elan trat Hinrik durch die Tür, um sich die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen.
Zaghaft näherte sich Inga, die schon zu dieser frühen Stunde vom Einkaufen zurückkehrte. Sie hatte Schollen in ihrem Korb.
»Störtebeker lässt Euch ausrichten, Ihr möchtet in die ›Blaue Düne‹ kommen«, richtete sie ihm aus, nachdem sie ihn ebenso artig wie respektvoll gegrüßt hatte. »Das ist das Gasthaus unten an den Klippen. Ich will Euch gern hinführen.«
»Nicht nötig«, erwiderte er. »Das finde ich. Aber erst möchte ich frühstücken.«
»Störtebeker sagt, dass Ihr das Frühstück mit ihm einnehmen sollt. Er bittet Euch, unverzüglich zu kommen. Ich übernehme es gern, Eurer Frau Bescheid zu geben«
»Das mache ich selbst«, wehrte Hinrik ihr Hilfsangebot ab. Er ging ins Haus und stieg die Treppe hinauf. Greetje machte einen verstörten Eindruck.
»Was ist los, Liebling?«, fragte er und schwankte zwischen Besorgnis und Bewunderung. Sie hatte ein so schönes, klares Antlitz und wirkte gleichzeitig so hilflos und schutzbedürftig, dass er sie in die Arme nahm.
Mit einem klagenden Laut löste sie sich von ihm,
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