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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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hinzukommt und sich uns entgegenstellt, bringt das kaum etwas.«
    Gegen Abend legte sich der Wind, und er frischte auch |434| in den folgenden zwei Tagen nicht spürbar auf, so dass die Schnigge ihre Fahrt erst nach langer Wartezeit fortsetzen konnte.
    Kurz vor Mitternacht ankerte die »Möwe« nahe Itzehoe. Mit einem Beiboot ruderte Hinrik zum Ufer, begleitet von Claas Störtebeker, Gödeke Michels und dem »Wiesel«, der für Rückendeckung sorgen und den Hof des Grafen beobachten sollte. Kaum hatten sie angelegt und das Boot gesichert, als Steuermann Heiner Wolfen den Anker einholen ließ, die Schnigge wendete und sich flussabwärts entfernte.
    In der Dunkelheit war nur wenig zu erkennen. Doch Hinrik kannte sich in diesem Landstrich gut aus. Während er seine Begleiter sicher und zügig über die Dämme führte, wurden Erinnerungen wach an jene Nacht, in der er Haus und Hof verloren hatte. Die Narbe auf seiner Stirn begann zu brennen, als wäre die Wunde frisch. Er meinte, den Ochsenziemer knallen und dazu die Stimme Wilham von Cronens zu hören.
    Einmal blieb er stehen und bat seine Begleiter, möglichst leise zu sein. Er horchte in die Nacht hinaus, weil er das Gefühl hatte, das Stampfen von schweren Hufen wahrgenommen zu haben. Aber er hatte sich getäuscht. Seine Fantasie hatte ihm einen Streich gespielt und ihm vorgegaukelt, der bronzene Ritter wäre irgendwo in der Nähe.
    »Nicht nervös werden«, ermahnte Störtebeker ihn. »Pflupfennig ahnt nicht, dass wir kommen.«
    Nach etwa einer Stunde riss die Wolkendecke auf, und der Mond warf sein Licht auf die Erde. Bald darauf tauchte das Gut des Grafen vor ihnen auf. Düster kauerten sich die Gebäude unter den hohen Kastanien und Linden zusammen. Als Hinrik die kleine Brücke überquerte, schoss knurrend ein Hund auf ihn zu. Er ließ sich nicht beeindrucken |435| , hielt ihm die Hand hin und sprach leise auf ihn ein. Von seinen vielen Besuchen auf dem Gut kannte er das Tier, und der Hund erinnerte sich an ihn. Er schlug nicht an, knurrte allerdings drohend, als Störtebeker und Gödeke Michels folgten. Hinrik klopfte ihm besänftigend die Flanke und kraulte ihm den Nacken. Beruhigt trottete der Hund an seiner Seite bis zum Portal, um sich dort leise seufzend auf den Boden zu legen.
    Hinrik trat ein, und Störtebeker zündete die Öllampe an, die er mitgebracht hatte. In ihrem Lichtschein folgten sie einem Gang bis in einen großen Raum. In einem Bett unter dem mit Holzläden verschlossenen Fenster ruhte Graf Pflupfennig, zugedeckt mit mehreren flauschigen Pelzen. Seine Augen waren weit geöffnet. Zutiefst erschrocken blickte er den Männern entgegen, konnte sie jedoch nicht erkennen, da ihn das Licht der Öllampe blendete. Sein Gesicht war schmal geworden und schien jegliche Farbe verloren zu haben.
    »Wer ist da?«, fragte er mit bebender Stimme.
    Störtebeker hielt die Lampe so, dass erst sein eigenes Antlitz, dann das Hinriks beleuchtet wurde. Gödeke Michels blieb im Dunkeln.
    »Hinrik vom Diek!«, rief Pflupfennig. »Was führt Euch zu mir?«
    »Was für eine Frage«, erwiderte der Ritter. »Habt Ihr vergessen, was Ihr mir angetan habt? Ich will endlich wissen, warum das geschehen ist.«
    Pflupfennig schloss die Augen und presste die Lippen zusammen. Sein Gesicht war bleich, und die Wangen waren tief eingefallen. Seit Hinrik ihm das letzte Mal begegnet war, hatte er sich sehr verändert. Er war alt geworden und schien dem Tode nahe zu sein. Es war so, wie Spööntje berichtet hatte. Er konnte nur seinen Kopf bewegen. Vielleicht noch eine Hand. Mehr nicht.
    |436| »Wenn er nicht reden will, knöpfen wir uns seine Frau und seine Tochter vor«, meinte Störtebeker und tat so, als wären sie nicht allein, sondern mit zahlreichen Helfern gekommen. »Ihr könntet schon mal hinausgehen und unseren Leuten Bescheid geben, dass sie ein Feuer anzünden sollen, damit wir glühende Eisen für die beiden Damen haben.«
    Pflupfennig gab den Widerstand augenblicklich auf. Ihm fehlte die Kraft, die ihn über lange Jahre seines Lebens hinweg ausgezeichnet hatte. Der Schlaganfall hatte ihn nicht nur körperlich gebrochen. »Nein!«, röchelte er und rang nach Luft. »Lasst die beiden in Ruhe.«
    »Dann heraus damit«, forderte Hinrik. Obwohl er unter den Machenschaften des Grafen ungemein gelitten hatte, fiel es ihm schwer, diesen kraftlosen Mann unter Druck zu setzen. Doch er hatte keine andere Wahl. Er würde sonst keine Antworten bekommen.
    »Das ist eine lange

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