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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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dürfen. Hatte man je einen Sonnensohn gesehen, der so gütig und weise, so gerecht und schön war? Erfüllt von diesen Gefühlen, sprang sie leichtfüßig die Stufen hinunter. Unendlich dankbar, ein Teil dieses Volkes zu sein.
    Unten angekommen, lösten sich die messerscharfen Krallen von ihrem Herzen. Animaya warf den Kopf herum. Kapnu Singa hatte sich von ihr abgewandt und spionierte nun wohl in anderen Untertanen herum.
    Eine Hand legte sich ihr auf die Schulter – Wisyas.
    Â»Nicht nur deine Taten solltest du unter Kontrolle haben, auch deine wahren Gedanken musst du zu verbergen lernen!«
    Da begriff Animaya, was eben passiert war. » Du hast mir diese Bilder von Tupac geschickt?«
    Wisya zuckte mit einer Augenbraue. »Es war nötig. Zorn und Hass machen blind, du aber musst sehen«, antwortete sie barsch.
    Animaya wollte gehen, aber die Yatiri hielt sie am Ärmel fest. Also hakte sie Wisya wie ein Großmütterchen unter und schlug mit ihr den Weg zum Gehege der Göttertiere ein.
    Nach Wisyas unfreundlicher Reaktion traute sich Animaya lange nicht, ein Wort zu sagen. Warum nur war plötzlich alles so kompliziert?, fragte sie sich traurig.
    Erst als Wisya neben einer niedrigen Mauer stehen blieb, merkte Animaya, dass die alte Frau sie zum Friedhof der Generäle gelotst hatte. Mit ausdrucksloser Miene deutete Wisya auf einen Erdhaufen.
    Â»Seltsam, nicht?«, murmelte sie. »Eben erst hat man von Milacs Tod erfahren und doch ist bereits ein frisches Grab ausgehoben …« Die Yatiri räusperte sich. »Hier wird man ihn zur Ruhe betten, mitsamt seiner Rüstung, denn er ist ja ehrenvoll gestorben, bei der Verteidigung unserer Freiheit.«
    Â»Du kannst aufhören mit diesen Spielchen«, sagte Animaya verärgert. »Ich habe selbst gemerkt, dass Kapnu Singa Milacs Tod nicht überrascht hat. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass dein Freund von einem Krokodilreiter ermordet wurde – wie mein Vater.«
    Wisya schüttelte den Kopf. »Milac war kein Freund, er war mein Spion. Und deshalb glaube ich nicht an einen zufälligen Tod.«
    Â»Glaube, was du willst, ich hindere dich nicht daran. Aber lass mich aus dem Spiel. Kapnu Singa ist abstoßend und selbst gerecht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er einen seiner Generäle absichtlich in den Tod treibt.«
    Wisya seufzte sichtlich enttäuscht. Sie legte den Arm um Animayas Hüfte und schweigend bogen sie wieder in das Laby rinth der engen Gassen ein. Animaya wurde das Gefühl nicht los, dass die Yatiri die ganze Zeit darüber nachdachte, was nun zu tun war. Eine Gruppe Kinder mit ihrem Lehrer überholte sie beide. Als sie das Haus der Gesetze erreicht hatten, nickte Wisya endlich.
    Â»Komm heute Nacht zur Mondquelle.«
    Animaya stieß verächtlich die Luft aus. »Warum sollte ich? Da war ich schon!«
    Â»Du willst ehrliche Antworten. Du sollst sie bekommen.«
    Â»Kein Interesse mehr.«
    Â»Du kommst!«
    Animaya wollte widersprechen, aber sie brachte kein Wort heraus. Schuld war diesmal nicht einer von Wisyas Zaubersprüchen. Animaya spürte einfach, dass sie noch immer nicht genug wusste, um sich ein Urteil über Wisya leisten zu können. Und über ihr Volk. Selbst über Perlenhaut.
    Â»Also gut, ich komme. Was aber nicht heißt, dass ich ab jetzt zu euch gehöre.«
    Wisya nickte. »Gut, gut. Aber warte so lange, bis du Calico schnarchen hörst.«
    Â»Ist er wirklich ein Spitzel der Generäle?«
    Â»Ich habe mehrfach versucht, seine Gedanken zu lesen, finde aber nichts. Entweder er ist sehr geschickt, sein Wissen zu verbergen …«
    Â»â€¦Â oder unschuldig und einfach nur ein fetter Maisdieb«, führte Animaya den Satz zu Ende. »Können wir nicht zusammen hinlaufen?«
    Â»Lieber nicht«, antwortete Wisya. »Sicher ist sicher. Wenn sie uns erwischen, ist die Gruppe um zwei weise Frauen ärmer.«
    Animaya wollte lachen, erkannte dann aber, dass Wisya die Bemerkung ernst gemeint hatte.
    Die Yatiri beugte sich vor und küsste Animaya auf die Stirn. »Jetzt geh zur Arbeit und pass auf dich auf! Und halte keine falschen Gedanken in dir fest.«
    Verwirrt eilte Animaya zwischen den Gehegen hindurch in die Ställe. Sie hatte keine Ahnung, wie sie die Stunden bis zum Sonnenuntergang rumkriegen sollte, ohne durchzudrehen. Tausend Überlegungen gingen ihr durch den

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