Der blutrote Kolibri
dem Gott sein eigenes Leben zum Tausch an, aber Intis Ohren waren an diesem Morgen taub. Da strich plötzlich die Hand seiner Frau über sein Gesicht.
⺠Du musst sie beschützen â¹ , flüsterte sie mit brüchiger Stimme. ⺠Sie trägt keinerlei Schuld. In ihr wird unsere Liebe weiterleben. â¹
Dann wälzte sie sich zur Seite und der Mann fand ein Bündel unter ihrem Körper. Glück und Schmerz kämpften in ihm, denn das Bündel bewegte sich. Doch als er den Stoff zur Seite schlug, schrie er entsetzt auf.
Die Haut des Kindes war weià wie Lamaguamilch, der Haarflaum beinahe durchsichtig. Und die Augen leuchteten schaurig rot. Das Balg einer Albina!
Eine eisige Kälte legte sich wie eine Klammer um sein Herz und drohte es zu zerquetschen. Was war in dieser fürchterlichen Nacht nur passiert?
Der Mann sprang panisch auf und wollte wegrennen, die Yatiri des Inka rufen, damit sie das Hexenkind vernichteten. Aber die Finger seiner Frau umkrallten sein FuÃgelenk.
⺠Es ist unser Kind â¹ , wisperte sie unter groÃer Kraftanstrengung. ⺠Es ist bleich, aber es entstammt unserer Liebe. Ohne die Albinas wäre es nicht mehr am Leben. Für ihre Hilfe verlangten sie nur die Farbe seiner Haut und Augen. Nur die Farbe, verstehst du? â¹ Die Frau schnaufte erschöpft. ⺠Lass niemanden es sehen, sonst töten sie es. â¹ Dann hob sie flehend den Kopf. ⺠Versprich es mir, damit ich in Frieden sterben kann. â¹
Da lieà sich der Mann auf die Knie fallen, griff nach ihrer Hand und versprach es. Als seine Frau den letzten Atem ausgehaucht hatte, wickelte er das Kind wieder in den Stoff, beschwor es, still zu sein, und verbarg es unter seinem Gewand.
Als Mitglied der zweiten Kaste hatte der Mann ein groÃes Haus und konnte das Kind gut verstecken. Und als Kämmerer fiel es ihm nicht schwer, einen zusätzlichen Esser zu ernähren. Er knüpfte hier einen Knoten mehr an die Quipus, öffnete dort ein paar andere â und sein Lager stimmte immer bis auf das letzte Maiskorn.
In den ersten Monaten zog er seine Tochter mit süÃer Lamaguamilch auf, dann bereitete er ihr den besten Maisbrei, stampfte Kartoffeln, enthäutete Tomaten und zerkleinerte sie. Anfänglich kümmerte er sich nur halbherzig um das blasse Balg. Je mehr er aber das hilflose Wesen versorgte, desto mehr wuchs auch in ihm die Zuneigung. Die bedingungslose Liebe des Kindes und seine Unbefangenheit vertrieben nach und nach den Hass auf die Ungerechtigkeit der Welt aus seinem Herzen. Der Mann begann das Kind zu vermissen, wenn er arbeitete. Auch erkannte er längst die Züge seiner Frau auf dem weiÃen Gesicht wieder.
Tagsüber spielte das Kind schweigend im Haus. Nachts erzählte der Mann ihm von der Schönheit seiner Mutter. Wenn er schlief, lag es noch eine Zeit lang wach und sah ihm beim Schlafen zu. Die Kleine mochte die Nacht, denn im Dunkeln war ihre Hautfarbe von der ihres Vaters nicht zu unterscheiden. Irgendwann begann sie den Klagen bei Vollmond zuzuhören, über die der Vater nicht reden wollte. Sie verstand jedes Wort. Die Albinas erzählten traurige Erlebnisse aus der Vergangenheit, denn sie waren nichts weiter als die Geister der Menschen, die mit Rachegedanken im Herzen gestorben waren.
Das Mädchen hörte ihnen andächtig zu. Bald begann es, seinem Vater die Geschichten zu erzählen, als wären es Träume. SchlieÃlich bemerkte der Mann, dass es Szenen aus der Vergangenheit seines Volkes waren, aber auch Visionen von der Zukunft. Sofort ahnte er, wie gefährlich die Worte seiner Tochter waren, und er verbarrikadierte sein Haus noch mehr als vorher.
Doch eines Abends, als er von der Arbeit zurückkehrte, war das Haus leer. Der Mann suchte überall nach seinem Kind. Er geriet in Panik, rannte die Gasse hoch und runter, aber vergebens.
SchlieÃlich, als er es schon verloren glaubte, fand er es im Hof des Hauses. Es stand über eine Pfütze gebeugt da und weinte. Es weinte aus ganzem Herzen, weil es so anders aussah als sein Vater. Gewiss, es hatte die Farbe seiner Arme und Beine längst bemerkt, aber in die Augen sah es sich selbst zum ersten Mal.
Da beschloss der Vater, dass die Zeit des Versteckens vorbei sein müsste. In dieser Gestalt jedoch, das war ihm klar, würde sein Kind in der Stadt niemals überleben. Wenn man also die Menschen nicht ändern konnte, musste man das Kind
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