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Der blutrote Kolibri

Der blutrote Kolibri

Titel: Der blutrote Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo P. Lassak
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Gesicht durch Palast und Tempel zu laufen wie ein Greis. Bei jedem Schritt musste er sich auf einen kurzen Gehstock stützen.
    Von seinem Kopf standen wenige, grotesk schwarz gefärbte Haare ab, die übrigen waren ihm ausgefallen. Tupac, obwohl kaum älter als vierzig, war eine Trauergestalt.
    Arme Nawi!, schoss es Animaya durch den Kopf. So ein schrecklicher Ehemann!
    Es war Natans Hand, die Animaya hinter den Würfel riss. Pillpa hockte schon hier, mit offenem Mund. Ihr Atem ging stoßweise. Die blinden Augen hatte sie auf Animaya gerichtet.
    Ratt, ratt.
    Den gemeißelten Chroniken wurde ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Was für eins? Wie Tupac die Halle betrat? War das wichtig für das Volk? Wie sie sich vor ihm versteckten? Dann würden sie nicht lange unentdeckt bleiben. In den geraden Linien im Stein würde der Inka sie wie in einem Spiegel sehen können.
    Was tun?, fragte sich Animaya verzweifelt.
    Tock, tock, tock machte der Stock des Inka auf dem Steinboden. Gleich hab ich euch, schien er zu sagen. So wie ein Vater beim Versteckspiel mit seinen Kindern.
    Tupac hustete. Bestimmt war er nun auf der anderen Seite des Würfels angekommen.
    Animaya biss sich vor Anspannung so fest auf die Unterlippe, dass sie zu bluten begann. Jetzt mussten Tupacs Augen die neuesten Ereignisse in Paititi überfliegen, jetzt an den drei Gestalten hängen bleiben, die die frühen Morgenstunden in diesem Raum verbracht hatten.
    Da hörte sie ihn heftig schnaufen. Mit brüchiger Stimme brüllte er: »Wachen! Bringt mir Kapnu Singa her!«
    Animaya tastete Halt suchend nach Natans Hand, bis sich ihre Finger ineinander verschränkten. Mit der anderen hielt sie den Stiel des Hammers krampfhaft fest. Pillpa hatte den Kopf auf Animayas Schulter gelegt. Starr vor Schreck kauerten die drei hinter dem Würfel. War das ihr Todesurteil?
    Nachdem etwa eine halbe Minute verstrichen war, erklang wieder das Tock-tock des Gehstocks. Hektisch schlug er auf das Pflaster. Tupac ging um den Würfel herum. Animaya sah ihre Freunde an. Natans Blick war entschlossen. Er schien zu allem bereit. Pillpa hingegen wirkte verstört. Ohne ihr Augenlicht fühlte sie sich hilflos, das erkannte Animaya.
    Â»Geht, Ani!«, flüsterte Pillpa kaum hörbar. »Lasst mich zurück, ich bin sowieso kein vollwertiger Mensch mehr.« Sie näherte sich mit ihrem Gesicht, bis sie Animayas Wange fand, und küsste sie. »Ich hab dich lieb, Ani!«
    Animaya suchte Natans Blick und schüttelte den Kopf. Niemals würde sie ihre Freundin in den Klauen des Feindes zurücklassen.
    Natan verstand die Geste und nickte. Gemeinsam zogen sie Pillpa hoch. Mit Pillpa in der Mitte rannten sie quer durch die Halle auf den Ausgang zu.
    Â»Wache!«, brüllte Tupac.
    Animaya warf den Kopf zurück. Der Inka war um den Würfel herumgekommen und zog einen Obsidiandolch aus dem Gürtel. Sein Körper mochte verfallen sein, aber seine Reflexe waren noch gut.
    Â»Runter!«, kommandierte Animaya.
    Unverzüglich warf sich Natan der Länge nach auf den Boden. Durch sein Gewicht riss er Pillpa mit sich. Als auch Animaya zu Boden ging, spürte sie einen stechenden Schmerz am Kopf. Tupacs Dolch war haarscharf über sie hinweggesaust und musste ihre Haut geritzt haben. Blut lief ihr übers Gesicht. Aber jetzt hatten sie wenigstens eine zweite Waffe. Natan hob den Dolch auch sogleich auf.
    Â»Weiter!«, drängte Animaya.
    Die drei sprangen auf die Füße und liefen durch die Tür. Die Wachen davor wussten anscheinend nicht, wie sie reagie ren sollten. Freie Entscheidungen, spontanes Verhalten waren ihnen während der Ausbildung knallhart abgewöhnt worden. Befehlen zu gehorchen war einfach, selbst denken hingegen unmöglich.
    Ihr Zögern kam Animaya, Pillpa und Natan jetzt zugute. Natan schlug einem von ihnen mit dem Knauf des Obsidiandolchs unterhalb des Helmrands gegen die Schläfe. Wie ein gefällter Baum kippte der Mann zur Seite.
    Der Zweite versuchte mit fahrigen Bewegungen sein Schwert aus der Scheide zu ziehen, verfing sich aber an der Koppel.
    Animaya zertrümmerte ihm mit einem Hammerschlag die Hand. Natan wollte auch ihn ausknocken, traf aber nur den Unterkiefer. Der General heulte auf und bekam sein Schwert mit der heilen Linken zu fassen. Natan gab ihm einen Tritt in die Seite – jetzt war der Weg nach oben frei.
    Â»Kapnu Finga!«, schrie der Mann mit

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