Der böse Geist vom Waisenhaus
Gefahr für seine Umwelt. Gewalt
ist schmutzig. Gewalt ist ein Eingeständnis des eigenen Unvermögens. Gewalt
verursacht Angst bei den andern. Gewalt macht Verletzungen. Und kann töten.
Schlimm genug, daß die Kriege nicht aufhören. Da wird die Masse Mensch
aufgehetzt, und die ist nie kontrollierbar. Aber in der kleinsten menschlichen
Gemeinschaft — in der Familie sollte kein Platz sein für Neandertaler-Methoden.“
„Du hast gut reden. Komm erst
mal in diese Situation.“
„Blödsinn, Mann! Ich betreibe
Kampfkunst. Ich kann hinlangen, daß die Knochen brechen. Aber ich hasse Gewalt.
Ich schlage nur zu, wenn ich angegriffen werde — nur im Fall äußerster Gefahr.
Aber eine Frau schlagen? Was für ein Dreckskerl muß das sein. Oder ein Kind
schlagen? Aber davon scheint Anna verschont zu sein.“
„Sie hat nie eine Ohrfeige
gekriegt. Nicht mal einen Klaps.“
„Aber sie hat miterlebt, in
welcher Weise die Eltern sich streiten. Was Sie Ihrem Kind zumuten, ist
seelische Gewalt. Unsichtbare Wunden entstehen. Ahnen Sie wirklich nicht, was
Sie da anrichten?“
„Anna vergißt das wieder. Sie
ist doch erst vier.“
„Oh, Mann! So was bescheuertes
wie Sie! Dagegen ist eine Kokosnuß ein Gehirnathlet. Gerade in dem Alter nimmt
ein Kind alles auf — alle Bilder, alle Lebenserfahrungen, alles Gute, alles
Böse. Das bleibt drin. Ein Leben lang. Und es prägt fürs Leben. Daß Sie Ihre
Frau geschlagen haben, wird Anna noch wissen, wenn sie 80 ist. Aber es wird
keine schöne Erinnerung sein.“
Schengmann rückte seinen
Rucksack zurecht und fingerte an der Taschenlampe.
„Ich bin dir, verdammt noch
mal, keine Rechenschaft schuldig. Du bist nicht der Scheidungsanwalt meiner
Frau.“
„Sie erbärmlicher Armleuchter!“
Tim wandte sich um, stieg den
Hang hinauf und nahm sein Rennrad.
Als er zur Stadt zurückfuhr,
sah er sich mehrmals um. Anfangs bemerkte er den Lichtschein von Schengmanns
Radlampe. Dann vergrößerte sich der Abstand, und die Nacht schluckte den Typ.
15. Milliönchen?
Frau Vierstein — Karls Mutter —
ließ Tim ein, freute sich, daß er und Klößchen übers Wochenende blieben, und
schloß den TKKG-Häuptling mütterlich in die Arme.
Ungerecht geht’s zu in der
Welt, dachte er. Gaby, Karl und Klößchen haben liebevolle Eltern, die sich ein
Bein ausreißen für ihre Kids. Meine Mutter ist super, tut alles für mich — und
mein Vater, lebte er noch, wäre genauso. Wir werden nie erleben, was es heißt,
geprügelt zu werden von den Eltern oder seelisch grausam behandelt.
„Ist Gaby noch da?“
Frau Vierstein nickte, während
sie die Treppe hochstiegen. „Weshalb lächelst du, Tim?“
„Mein Gute-Nacht-Bussi ist mir
sicher.“
„Verstehe. Die andern haben
schon gegessen. Deine Pizza mache ich jetzt. Mit Salami oder Tomaten und Käse?“
„Bitte, mit Tomaten und Käse.“
Seine Freunde hockten in Karls
Zimmer, wo die Heizung stark aufgedreht war.
„Mir war so fröstelig“,
erklärte Gaby. „Hoffentlich wird’s keine Grippe.“
„Dann kommen wir dich alle
besuchen“, meinte Klößchen, „und lassen uns anstecken.“
„Auf mein Gute-Nacht-Bussi
verzichte ich jedenfalls nicht“, sagte Tim.
Als Karls Mutter ein Tablett
brachte mit der Pizza und einer Schüssel Salat, hatte er bereits alles erzählt,
aber seine Überlegung noch nicht abgeschlossen.
Klößchen sah ihm unverwandt zu
beim Essen.
„Ist ‘ne sehr große Pizza.
Schaffst du die?“
„Locker“, nickte Tim. „Bin ja
die ganze Strecke noch mal gedüst.“
„Ich meine nur: Falls du sie
nicht schaffst, würde ich mich opfern und den Rest verputzen.“
„Keine Chance, Willi. Aber ich
lasse dir die Olivenkerne zum Lutschen.“
„Herzlichen Dank!“
Tim aß seinen Teller leer. Frau
Viersteins Pizzen waren die besten. Sie nahm keinen vorgefertigten Teig,
sondern machte ihn selber.
„Ich glaube Schengmann kein
Wort“, sagte Tim. „Er ist der betrogene Betrüger. Vielmehr: der bestohlene
Dieb. Erst dachte ich, damit wäre der Raser im schwarzen Audi entlastet. Beim
genaueren Durchdenken meine ich aber, an dem Verdacht ändert sich nichts.“
Karl nickte heftig.
„Wahrscheinlich bist du dem Audi vorhin tatsächlich zum zweiten Mal begegnet.
Und diesmal hatte er das Geld an Bord. Hatte es sich nämlich gerade geholt. Daß
er nachmittags so gerast ist, liegt vielleicht ganz allgemein an seiner
Fahrweise — einer beschissenen Fahrweise. Oder er war gepeppt von dem Gedanken,
daß er sich abends
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