Der böse Geist vom Waisenhaus
erklären,
Katrin. Eigentlich habe ich Tobias geliebt. Aber mit meiner Frau...“
„Wieso Tobias? Der heißt doch
Christian.“
„Mein Sohn heißt...“
„Ich rede nicht von deinem
Sohn, wußte gar nicht, daß du einen hast. Ich rede von Christian Reithl.“
„Den kenn ich. Was ist mit
ihm?“
„Du hast ihn fast
totgeschlagen.“
„Ich? Nein! Nie.“
„Aber die Polizei war hier. Und
jetzt warten zwei Polizisten auf dich. Einer ist auf dem Hof, der andere in
deinem Zimmer.“
Vleske spürte, wie ihm kalter
Schweiß ausbrach.
„Ich habe Christian nichts
getan.“
„Der Junge hat das aber
ausgesagt, als er mal einen Moment zu sich kam. Im Stadtwald hinten wurde er
gefunden. Übel zugerichtet, sagen die Polizisten. Jetzt wird er im
Schweitzer-Krankenhaus operiert. Ist der Junge von ‘nem Zahnarzt.“
„Das weiß ich.“
„Du kennst ihn also?“
„Aber ich habe ihm nichts
getan, wirklich nicht.“
„Niemand glaubt dir das,
Vleske. Auch ich nicht. Du bist schlecht. Ein Wüstling. Mich hast du
mißbraucht. Das sage ich der Polizei. Auch das mit dem Müsli. Ja, ich gebe es
ihnen. Zur Untersuchung. Es ist besser für alle, wenn du wieder ins Gefängnis
kommst. Da gehörst du hin, du...“
Vleske schlug auf die Gabel,
ließ den Hörer baumeln und stürmte aus der Telefonzelle hinaus.
Also jagten sie ihn bereits.
Weshalb, das war kaum noch wichtig. Weil er Katrin mißbraucht hatte — obschon
sie ein williges Opfer war? Weil er ihr Müsli vergiftet hatte — ein klarer
Mordversuch? Oder wegen dieses Jungen, dem er nun wirklich nichts getan hatte.
Im Gegenteil. Getröstet hatte er ihn, weil der Kleine völlig verstört und
aufgelöst war, weggelaufen von zu Hause offenbar und auf dem Weg zu seiner
Baumhütte. Aber geschafft bis dorthin hatte er’s wohl nicht mehr. Wem war der
Junge in die Hände gefallen?
Sie jagen mich, dachte er. Bin
zur Fahndung ausgeschrieben. Wohin soll ich, wo mich verstecken?
Er irrte durch die Straßen, die
allmählich leer wurden.
Sollte er sich wieder unter die
Penner mischen, auf Parkbänken schlafen, unter den Brücken, vom Betteln leben.
Betteln — das konnte er. Scham oder Verlegenheit empfand er dabei nicht mehr.
Als er durch die
Flieder-Park-Straße schlurfte — die zwischen Drülle-Platz und dem neuen
Kino-Palast verläuft, und zwar an der Westseite des Flieder-Parks — als er dort
also Richtung Innenstadt tippelte, kam ihm ein Streifenwagen entgegen.
Ein paar Sätze — und Vleske war
über die Fahrbahn hinüber.
Hinein in den Park, in die
Büsche.
Aber hier brannten Laternen,
und es gab nur wenige Verstecke.
Reifen quietschten.
Der Wagen hielt dort, wo sich
Vleske in die Büsche geworfen hatte.
Stimmen. Verdammt! Nicht von
zwei Bullen — das waren vier. Fuhren die jetzt zu viert? Oder wollten sie zu
einem Einsatz?
„Ich habe ihn erkannt“, hörte
Vleske einen sagen. „Das war dieser Kerl, der den Jungen mißhandelt hat.“
Vleske kauerte auf dem Boden.
Ringsum dichte Büsche.
Aber die Uniformierten näherten
sich.
Plötzlich wurde es taghell. Wie
das? Vleske sank auf die Knie und zog den Kopf ein.
Scheinwerfer! Sie hatten einen
Scheinwerfer mit und richteten ihn in den Park.
„Nehmt die Sprechfunk-Geräte“,
sagte einer. „Wir durchkämmen bis rüber zur Prislig-Straße. Ich rufe
Verstärkung, damit drüben abgeriegelt wird.“
Vleske kroch tiefer in die
Büsche, hörte aber noch, wie der Uniformierte in sein Gerät sprach.
„Hier City 18 mit vier Mann
Besatzung. Sind im Flieder-Park. Verdächtige Person ist in die Büsche geflohen.
Vermutlich handelt es sich um Erwin Vleske, genannt Rotbart. Bitte, einen Wagen
zur Prislig-Straße, falls Vleske dort rauskommt.“ Zweige knackten. Schritte im
Laub. Sie näherten sich.
Einer hielt zu auf Vleske. Nur
noch durch zwei Büsche — und der Polizist würde ihn sehen.
In diesem Moment passierte es.
Und nahm sich aus wie ein Wunder. Berücksichtigt man hingegen die vielen
Verkehrsunfälle, die täglich und stündlich in der Großstadt passieren, dann war
es eher ein ganz normaler Vorgang.
Krachend prallte der Mercedes
eines — wie sich später herausstellte — angetrunkenen Fahrers gegen das Heck
des Polizeiwagens. Der parkte mit rotierendem Blaulicht. Der Anprall war so
heftig, daß der Lichtsockel auf die Straße fiel. Blech wimmerte, und die
zerbröselten Heckleuchten fielen stückchenweise auf die Fahrbahn.
„Kalle!“ rief einer der
Polizisten. „Das ist unsere Kutsche. Jemand
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