Der böse Geist vom Waisenhaus
ihn an, als rede er im
Fieberwahn.
Tim berichtete, zitierte auch
die Hintergrund-Stimme.
Karl lachte. „Da saß wohl
unbewußt dein Wunschdenken im Gehörgang. Ein Teil deiner grauen Zellen denkt an
den schwarzen Audi und an das Geld. Deshalb hörst du’s schon in den Bäumen
flüstern: Hier sind die zwei Milliönchen. Müssen nur noch gezählt werden. Aber,
Tim, es ist der Wind, der da flüstert.“
„Wenn du mir akustische (klangliche) Halluzinationen (Trugbilder) unterstellst, Karl, weise ich das
entschieden zurück.“
„Ich würde mich totlachen“,
feixte Klößchen, „wenn dieser Wolpert der Raser im schwarzen Audi ist.“
„Auf so einen Blödsinn“, sagte
Karl, „kannst auch nur du kommen.“
Tim entflocht seine
Schneidersitz-Beine und steckte sie andersherum zusammen — wiederum zum
perfekten Lotussitz, wie diese Yoga-Übung auch heißt — nützlich für die
Beweglichkeit in Hüft- und in Kniegelenken.
„Morgen nehmen wir also
unmittelbaren Kontakt auf mit Edith Schengmann. Außerdem erkundigen wir uns, ob
Vleske, der Rotbart, inzwischen dingfest ist. Falls nicht, suchen wir ihn. Du,
Gaby, kennst doch den ollen Kerl bei der Kfz-Zulassungsbehörde, der so auf
deinen Charme fliegt. Betöre ihn ein bißchen — dann sagt er dir, welchem
Affenarsch der schwarze Audi mit der hiesigen Nummer DW 1121 gehört.“
Tim horchte seinen Worten nach.
„Habe ich eben DW 1121 gesagt?“
„Du hast“, nickte Karl und
hatte rote Flecken im Gesicht. „D wie Dieter und W wie Wolpert. Man kennt das
ja. Die Eitelkeit der Spinner. Die Initialen müssen her für das
Kfz-Kennzeichen. Manchmal — bei Stammkunden — machen es die Autohändler auch
unaufgefordert bei der Anmeldung des Neuwagens. Sozusagen eine Service-Leistung
— in der Hoffnung, der Kunde verzichtet deshalb auf Preisnachlaß.“
„Was? Wie?“ brüllte Klößchen.
„Also habe ich recht?“
Tim spreizte abwiegelnd die
Finger.
„Erwiesen ist noch nichts. Aber
die Hinweise mehren sich. ...jöhnchen — Milliönchen! DW — Dieter Wolpert.
Morgen wird das eine interessante Ausforschung werden. Aber jetzt, Gaby, bringe
ich dich nach Hause. Sonst schimpft deine von mir so hochverehrte Mamma.“
16. Beinahe erwischt
Vleske, genannt Rotbart,
schauderte. Was er in dem Brief las, den Christian Reithl ihm gegeben hatte,
war nicht dazu angetan, seine Stimmung zu heben. Ungeheuerlich! Trotzdem — das
war nicht sein Problem. Jedenfalls glaubte er das noch jetzt und hier — an dem
Imbißstand, wo er nun schon die vierte Flasche Bier trank.
Vleske faltete das Blatt
zusammen, steckte es zurück in den Umschlag und schob den Brief in die
Brusttasche.
Die karierte Jacke roch nach
Regen. Um genauer zu sein: Vleske stank — stank nach Penner: ungewaschen,
ungepflegt, bierdunstig.
Katrin! dachte er. Ich muß
wissen, ob sie noch lebt. Was los ist. Aber wie erfahre ich das?
Vorn an der Ecke war eine
Telefonzelle. Zum Glück ein Apparat, für den man keine Telefonkarte brauchte.
Zitternd horchte Vleske auf das
Freizeichen.
„Katrin Breukhoff“, sagte das
Mädchen mit frischer Stimme. Vleske konnte kaum atmen. „Katrin, du?“
„Ach, Vleske. Wo steckst du
denn?“
„Die... Polizei ist doch bei
euch.“
„Was?“
„Nein? Keine Polizei bei euch?“
„Wie kommst du darauf?“
Er versuchte, sich zu fassen.
„Hast du schon von dem Müsli
gegegessen?“
„Meinem Müsli? Nö. Warum?“
„Schütte es weg. Ja? Schütte
alles weg, was noch da ist.“
„Bist du blöd. Weshalb denn?“
„Frag nicht! Schütte es weg!“
„Nun gerade nicht. Ich werde
gleich alles essen.“
Das war kein Spaß. Er kannte
ihren Dickkopf.
„Dann stirbst du, Katrin. Dein
Müsli ist vergiftet.“
Nach einer langen Pause sagte
sie: „Du hast das gemacht?“
„Weil du mich in die Enge
treibst. Weil du mich verraten willst. Ja, ich wollte dich beseitigen. Aber ich
kann es nicht. Ich bin kein Mörder.“
Ihre Stimme verriet nicht, ob
sie schockiert war.
„Du wolltest mich wirklich
umbringen?“
„Eigentlich... eigentlich
nicht, Katrin. Es sollte nur ein Denkzettel werden. Mit Leibweh und Erbrechen.
Aber ich glaube, in deinem Müsli sind zuviel von den giftigen Beeren. Ja, ich
habe zuviel reingetan. Rühr das Zeug nicht mehr an.“
„Du bist echt verrückt, Vleske.
Der totale Verbrecher. Warum hast du den Jungen halb totgeschlagen?“
Er zuckte zusammen. Woher wußte
sie, was er seinem kleinen Sohn angetan hatte?
„Ich kann das nicht
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