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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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ehren, in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod euch scheidet …«
    Das ist zwar der kirchliche Text, aber solange er Gott nicht erwähnt, wird es wohl durchgehen.
    »… so antworten Sie in Gottes Angesicht laut und vernehmlich mit ›Ja‹.«
    Aylin lächelt.
    »Ja, ich will.«
    »Und wollen Sie, äh, Daniel Hagenberger, die hier anwesende … Aylin äh … Duru … lolu zur Frau nehmen, sie lieben und ehren, in guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod euch scheidet, so antworten Sie in Gottes …«
    Ich habe ihm einen warnenden Blick geschickt, damit er Gott nicht noch mal erwähnt, aber er hat es eine Nuance zu spät gemerkt. »… äh, und natürlich auch in Allahs Angesicht … laut und vernehmlich mit ›Ja‹.«
    »Ja, ich will.«
    »Kraft des mir von Gott, nein, von äh der Stadt Köln verliehenen Amtes erkläre ich Sie hiermit zu Mann und Frau. Sie dürfen die Braut jetzt küssen.«
    Ich lüfte Aylins Schleier und küsse sie unter dem Applaus von 1200 Gästen – ein erhebendes Gefühl. Heribert Fassbender schüttelt uns die Hände und verlässt die Bühne. Eigentlich war die Performance keine 100 Euro wert, aber der euphorische Applaus zeigt, dass Familie, Freunde und wer sonst noch so heute hier ist, bereitwillig über die kleinen Unstimmigkeiten hinwegsehen.
    Onkel Abdullah hebt jetzt eine Holzkiste an, die vor dem geöffneten Eingangstor steht. Es kommen zehn weiße Tauben zum Vorschein, die sich sofort majestätisch in die Luft erheben, begleitet von Hunderten ergriffener Ooooooohs und Aaaaaaaahs. Onkel Abdullah beweist ausgesprochenen Sinn für romantische Momente, als er einer der Tauben, die nicht sofort losfliegt, mit einem beherzten Tritt Starthilfe gibt.
    Als ich Aylin zulächle und den Moment genießen will, platztfast mein Trommelfell, weil die Band spontan das Tarkan-Lied Ş ıkıdım in voller Lautstärke aus dem Keyboard-Speicher in die Lautsprecher befördert. Dann werde ich erneut Zeuge eines Weltrekords: In weniger als zwei Sekunden ist eine leere Tanzfläche mit über 900 Leuten gefüllt, die ihre Hüften kreisen lassen und schnipsen.
    Ich bin mal wieder beeindruckt, wie sich Türken bewegen können. Selbst Kleinkinder zeigen eine natürliche Geschmeidigkeit, als hätten sie schon in der Gebärmutter jeden Tag Unterricht erhalten. Einige wenige Gäste sitzen noch an den Tischen: alte, gebrechliche und deutsche.
    Nach ein paar Minuten wagt sich mein Vater auf die Tanzfläche und versucht zu zeigen, dass er sich genauso locker bewegen kann wie die Türken – wobei es für mich eher so aussieht, als hätte Joe Cocker kurz nach einer Hüft- OP eine Dose Ecstasy-Pillen verschluckt. Wenig später folgen meine Mutter und Ingeborg Trutz. Meine Mutter hüpft fröhlich auf der Stelle und schafft es – im Gegensatz zu den sinnlich mit der Hüfte kreisenden Türkinnen –, jegliche Erotik aus ihrer Tanzperformance herauszuhalten; das hat seine ganz eigene Qualität. Ingeborg Trutz hingegen zieht zunächst ihre Schuhe aus und bewegt sich dann theatralisch-esoterisch, wobei sie aus irgendeinem nicht nachvollziehbaren Grund wild mit den Armen über ihrem Kopf herumfuchtelt. So beweist sie eindrucksvoll, dass man die Stimmung der Musik auch komplett ignorieren kann, wenn man nur genügend Ideen für sinnlose Bewegungen in sich trägt. Dimiter Zilnik sitzt mit Oma Berta am Tisch und zieht an seiner Zigarre. Er ist seit seiner Geburt überzeugter Nichttänzer und wird es auch für den Rest seines Lebens bleiben.
    Eine Stunde lang wird geschnipst, gehüftkreist und gehüpft, dann stoppt die Musik, weil das Essen aufgetragen wird: Mindestens dreißig Kellner schieben große Metallgestelle in den Saal, auf denen sich vorbereitete Teller mit Reis und gigantischen Fleischbergen befinden. Als eine halbe Stunde später die Teller leer gegessen sind, sehe ich zu meinem Entsetzen, wie mein Vater in Richtung Bühne marschiert. Ich ahne Schlimmes und kann nichts dagegen tun – es ist wie in einem Bond-Film, wenn 007gefesselt ist und mit ansehen muss, wie der Oberschurke die Welt zerstört. Mit dem Unterschied, dass James Bond im Gegensatz zu mir die Katastrophe in der letzten Sekunde abwenden kann. Mein Vater ergreift das Mikrofon und räuspert sich eine halbe Minute lang, während er diverse Zettel sortiert – dann nimmt das Unheil seinen Lauf:
    »Liebe Hochzeitsgäste. Benim adım Rigobert. Das bedeutet: Mein Name ist Rigobert. Da ich noch ganz am Anfang meiner Bemühungen um

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