Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
Vom Netzwerk:
ich ans Steuer – Kenans Mutter hatte einen Herzinfarkt – da sollte er besser nicht Auto fahren.«
    »Meine Mutter hat einen Herzinfarkt. Das ist scheiße, okay. Aber warum soll ich deshalb nicht Auto fahren?«
    »Weil du emotional belastet bist. Das schränkt die Wahrnehmung ein, und …«
    »Kein Problem. Ich habe alles unter Kontrolle.«
    Seine zitternden Finger beim Drücken des automatischen Türöffners zeugen vom Gegenteil. Ich atme tief durch. Ich verdränge die Erinnerung an blaue Strickstrumpfhosen im Sportunterricht und Lebensmittelallergielisten. Du bist der Boss, Daniel! Ich versuche, alle Autorität aufzubringen, die ich habe:
    »Okay. Gib mir den Schlüssel, Kenan.«
    Anstelle einer Antwort setzt sich Kenan auf den Fahrersitz und schließt die Tür. Frau Denizo ğ lu hat bereits neben ihm Platz genommen; Aylin sitzt hinten und winkt mich zu sich:
    »Komm, steig ein, Daniel.«
    »Ich meine es ernst: Er darf nicht fahren.«
    Meine Verlobte will gerade antworten, als Kenan mit quietschenden Reifen anfährt. Die geöffnete Tür schließt sich nachdem Zusammenprall mit einem Halteverbotsschild automatisch, und Kenans Mercedes braust mit doppelter Warp-Geschwindigkeit davon, nur um nach rund 200 Metern eine Vollbremsung zu machen und mit mindestens 50 km   /   h rückwärts zurückzukommen. Vor mir hält er mit quietschenden Reifen. Aylin öffnet die verbeulte Tür, und während eine Stimme in meinem Kopf sehr laut » TU DAS NICHT !!!!« ruft, steige ich ein. Nach spätestens einer Sekunde weiß ich, dass es ein Fehler war.

[Menü]
21
    5 Minuten, 21 Sekunden nach dem Schock.
    Kenans Fahrstil zeichnet sich durch das gleiche Feingefühl aus wie der von Onkel Abdullah – mit dem Unterschied, dass Kenan zum Brechen der Verkehrsregeln rund fünfmal so viel PS zur Verfügung stehen. Es liegt mir fern, mich an rassistischen Gentheorien zu beteiligen, aber wenn es in der DNA irgendeine spezielle Mutation gegeben hat, die zu unzivilisiertem Verhalten im Straßenverkehr führt, dann muss diese irgendwann während des Osmanischen Reiches passiert sein.
    Als Kenan mit 80 km   /   h gegen die Fahrtrichtung einer Einbahnstraße düst und sich ein entgegenkommender Fiat in allerletzter Sekunde in eine Parklücke rettet, erfasst mich urplötzlich eine unerklärliche innere Ruhe. Vielleicht hat mein Kleinhirn gemeldet, dass ich schon tot bin. Ich schaue Aylin tief in die Augen. Wenn wir jetzt gemeinsam sterben, hätte es etwas Romantisches, wie bei Romeo und Julia – eine junge tragische Liebe, die gerade durch den Tod unsterblich wird. (Shakespeare ließ allerdings, dank seines dramaturgischen Scharfsinns, die Schwiegermutter nicht mitsterben.)
    Nachdem Kenan die Stürze zweier Radfahrer provoziert, Schockzustände bei einem guten Dutzend Fußgänger verursacht und dem Leben dreier Tauben, einer Ratte sowie mehrerer Hundert Insekten ein Ende gesetzt hat, kommen wir zu meinem Erstaunen unverletzt an der Uniklinik an.
    Wir hasten zum Info-Schalter des Herzzentrums. Dort sitzt ein rundlicher Mann um die sechzig, der laut Namensschild Hermann Töller heißt und eine so selbstzufrieden-gemütliche rheinische Gelassenheit ausstrahlt, dass ich ihn mir als Fotomodell für die Süffels-Kölsch-Kampagne vormerke und mich gleichzeitig darüber ärgere, dass sich die verdammte Werbebranche schon wieder in meinem Kopf eingenistet hat.
    Der Portier schaut die Sendung Rheinsport auf dem Kölner Heimatkanal Center TV , wo gerade über die Vorfreude einiger Kneipenbesucher auf die Fernsehübertragung des Spiels Köln   –   Wolfsburg berichtet wird. ( Vor dem Spiel ist die Stimmung in Köln ja immer prächtig.) Schlagartig wird mir klar, dass ich Mark noch nicht abgesagt habe. Während ich hastig eine SMS mit den Worten »Tante Herzinfarkt. Hochzeit fällt flach. Erklärung später. Dein Votan Wahnwitz« ins Handy hacke, braucht Aylin einige Anläufe, um die Aufmerksamkeit von Hermann Töller auf sich zu lenken:
    »Hallo? Entschuldigung? HAAALLLOOO !«
    Der Portier lässt sich von Aylins Nervosität und Ungeduld nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen.
    »Moment … Isch bin gleisch bei dir, Mädche.«
    Er wartet noch in aller Seelenruhe einen unglaublich spannenden Dialog des Reporters mit einem betrunkenen Proleten im FC – Trikot ab, der auf die Frage nach dem Spielausgang völlig überraschend einen Sieg des 1.   FC Köln voraussagt. Kenan reißt der Geduldsfaden – er schlägt mit der Faust auf den

Weitere Kostenlose Bücher