Der Boss
Tresen.
»Hey, jetzt sag uns endlich, wo meine Mutter ist!«
Auch von Kenans Aggression lässt sich unser Portier nicht irritieren und antwortet mit fröhlich-rheinischem Singsang:
»Jung, woher soll isch wissen, wer deine Mutter ist?«
Jetzt bringt sich Aylin ins Gespräch ein:
»Sie ist meine Tante.«
»Jut, dat wir dat jeklärt haben … Jetzt hammer natürlisch ein Problem.«
Kenan wird bleich:
»Ein Problem?«
»Ja. Jetzt weiß isch nit, ob isch Sie in die Tanten-Abteilung oder in die Mütter-Etage schicken soll.«
Kenan, Aylin und Frau Denizo ğ lu schauen ihn verdutzt an.
»Haha, kleiner Spaß. Muss auch mal sein. Dat Leben is ja ernst jenug, nischt wahr?!«
Die Mienen meiner türkischen Verwandten verraten, dass rheinischer Humor im Moment nicht die allererste Option für sie ist. Hermann Töller lässt dann auch von weiteren Frohsinnverbreitungsversuchen ab:
»Nä, im Ernst, isch brauche den Namen.«
»Emine Kılı ç daro ğ lu.«
»Oh, jetzt haben wir ein Problem.«
Kenan wird wieder bleich.
»Ein Problem?«
»Ja.«
»Was für ein … ich meine, ist sie … tot?«
»Nein. Isch meine, isch habe keine Ahnung, wie dat jeschrieben wird.«
Aylin, Kenan und Frau Denizo ğ lu seufzen erleichtert, sind aber mit den Nerven am Ende. Aylin holt eine Flasche Kolonya aus der Tasche – die türkische, nach Urinalsteinen riechende Version von Kölnisch Wasser – und schüttet mindestens fünfzig Milliliter in die geöffneten Hände ihrer Mutter, die sich die anatolische Antwort auf die Stinkbombe nun mit einem lauten Stoßseufzer ins Gesicht klatscht. Kenan erklärt:
»Kılı ç daro ğ lu. Wie der Vorsitzende der CHP
Anmerkung
.«
» CHP ?«
»Egal. Ich buchstabiere: » Ka. Ih. El. Ih. Ce …«
»Moment, nit so schnell. Ka. Ih. El …«
» Ih. Ce .«
»Ach, isch dachte: Ih. El .«
»Ja. Aber danach Ih. Ce .«
»Also, Ka. Ih. El. Ih. Ce .«
»Genau. De. Ah. Er .«
» De. Ah. Er .«
» Oh. Ge. El. Uh .«
» Oh. Je …«
»Nein, Ge .«
»Sag isch doch: Je . Hier in Köln sagen wir nit Je , sondern Je . Aber jeschrieben wird et Je , wie Justav.«
Kenan ist kurz vor einem Wutanfall. Aylin zieht ihn sicherheitshalber zur Seite und buchstabiert weiter:
» Ge. El. Uh .«
» Je … Wissense, dat Je wird in Köln immer jerne mit dem Jott verwechselt. Also mit dem Buchstaben Jott – nit mit dem lieben Jott. Kleiner Spaß, haha …«
» El. Uh .«
» El. Uh … Ist Ihnen schon mal aufjefallen, dat der liebe Jott jar nit mit Jott jeschrieben wird, sondern mit Je ?«
»Nein, das ist mir noch nicht aufgefallen.«
»Da könnte isch misch stundenlang drüber beömmeln, haha.«
Jetzt nähert sich auch Aylin einem Wutanfall.
»Würden Sie mir jetzt bitte sagen, wo meine Tante liegt!«
»Natürlisch. Haben wir denn alle Buchstaben?«
»Ja.«
»Also Kilitz-dar-ocklu.«
»Genau.«
»Zweiter Stock, Zimmer 245. Hier vorne ist der Aufzug für Nichten, und da hinten der für Söhne.«
Aylin schaut ihn kurz irritiert an.
»Haha, kleiner Spaß. Nix für unjut.«
Als wir im zweiten Stock ankommen, wird Tante Emines Bett gerade über den Gang in Richtung OP geschoben. Kaffeesatzlese-Emine geht nebenher und platziert diverse Glücksbringer auf der Matratze – vom blauen Auge, das angeblich den »bösen Blick« abwehrt, über den Koran bis hin zu einer kleinen Marienstatue (ja, auch die Türken verehren sie) und irgendwelchen Kräutern.
Kenan, Aylin und Frau Denizo ğ lu hasten hinzu und reden auf Türkisch synchron auf die kranke Emine ein. Ich persönlich hätte vor einer OP ein besonnenes »Mach dir keine Sorgen, die Ärzte hier sind hervorragend« bevorzugt, aber Türken halten offenbar hysterisches Schluchzen, Wimmern und Brüllen für angemessen.
Das Bett wird nun durch eine Tür geschoben, auf der in großen Buchstaben »Für Unbefugte verboten« steht – und trotzdem müssen die zwei Pfleger, die das Bett schieben, meine türkischenVerwandten mit körperlicher Gewalt vom Betreten des OP – Bereichs abhalten. Aylin kommt zu mir und fällt mir in die Arme – erschöpft von zu vielen Emotionen. Ich will ihr helfen:
»Aylin, das Beste ist, wenn wir uns jetzt ablenken. Wie wär’s, wenn wir was essen gehen?«
»Wir können doch nicht essen gehen, während Tante Emine operiert wird.«
»Äh, und warum nicht?«
»Wir müssen doch bei ihr sein.«
»Dir ist schon klar, dass sie betäubt wird?!«
»Ja.«
»Und dass sie nicht merkt, ob wir da sind oder
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