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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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die Seychellen.«
    »Seychellen? Ist viel zu teuer.«
    Sie schaut Kenan vorwurfsvoll an. Kenan verteidigt sich:
    »Hey, sie kriegen natürlich Familienrabatt.«
    »Aber wie viel müsse bezahle?«
    »So zweitausendfünfhundert, schätze ich.«
    »Kommt gar nicht infrage. Ich gebe euch meine Sommerhaus in Antalya. Ihr kriegt Ehebett, dann übernachte Mustafa und ich auf dem Sofa.«
    Ich versuche, so unauffällig wie möglich den Kopf zu schütteln. Aylin versucht, diplomatisch zu sein:
    »Das ist sehr nett von dir, Tante, aber …«
    »Keine Widerspruch. Ich sage wirklich von ganze Herz.«
    »Das ist wirklich unglaublich großzügig, aber …«
    »Vallaha, ich bin beleidigt, wenn ihr nicht kommt.«
    Aylin schaut mich an. Jetzt ist sie es, die das Grinsen des Katers aus Shrek 2 imitiert, und plötzlich werden mir zwei Dinge klar. Erstens: Ich bin nicht der Boss. Zweitens: Wir werden unsere Flitterwochen zusammen mit Aylins Tante verbringen.

[Menü]
3
    Noch 5 Wochen, 4 Tage, 13 Stunden, 25 Minuten
bis zur Hochzeit.
    »Was meinst du? Stört er hier die Wirkung des Uecker-Bildes?«
    Meine Mutter hat den Weihnachtsbaum einen halben Meter in Richtung Fenster geschoben und schaut meinen Vater unsicher an. Der tritt einen Schritt zurück und lässt das Gesamtbild auf sich wirken.
    »Nun ja, ich finde, dass die abstrakte Sandsteinplastik von Alfons Kunen einen ironischen Kontrast zur Tanne bildet.«
    »Aber was ist mit dem Uecker-Bild?«
    »Vielleicht sollten wir es gegen das Paul-Klee-Aquarell tauschen. Die Wirkung von Ueckers Nägeln wird durch die Nadeln irgendwie geschwächt, finde ich.«
    »Ja, ich hatte auch so ein komisches Gefühl im Bauch.«
    Wenn meine Eltern ihren Weihnachtsbaum aufstellen, ist das immer so, als würden sie eine wichtige Ausstellung im Museum of Modern Art vorbereiten. Hauptsache, es sieht nicht so aus, als würden sie Weihnachten feiern. Wenn Intellektuelle »O Tannenbaum« singen, fürchten sie wahrscheinlich, dass Jean-Paul Sartre aus dem Grab steigt und sie als Spießer beschimpft.
    Da aber jeder gerne Weihnachten feiert, brauchen Intellektuelle immer eine Rechtfertigung – meine Eltern haben dafür drei Methoden entwickelt:
Sie erklären den Weihnachtsbaum zu einem Kunstwerk, indem sie alternativen Schmuck verwenden – in diesem Jahrhängen leere Joghurtbecher in den Zweigen (laut Aussage meines Vaters eine Anspielung auf den russischen Künstler Ilya Kabakov).
Sie ersetzen die traditionellen Rituale durch eigene (zum Beispiel legt mein Vater zur Bescherung immer »Wann ist denn endlich Frieden« von Wolf Biermann auf).
Sie tun so, als würden sie Weihnachten nur feiern, um meiner Oma Berta eine Freude zu machen.
    Oma Berta, die Mutter meines Vaters, wohnt eine Etage unter meinen Eltern, ist 92, leicht verwirrt und wird dank Pflegestufe 2 professionell betreut. Sie sitzt auf dem Sofa und schaut irritiert auf die geschmückte Tanne.
    »Ich verstehe nicht, wozu wir im April einen Weihnachtsbaum brauchen.«
    »Berta, heute ist Heiligabend.«
    »Was? Das hat mir keiner gesagt.«
    »Doch, ich habe dir … egal. Findest du, der Baum passt zum Uecker?«
    »Uecker – ist das nicht der Schwule aus der Lindenstraße ?«
    »Nein, der Künstler.«
    »Welcher Künstler?«
    »Der diese Bilder macht, die nur aus Nägeln bestehen.«
    »Was soll das? Ein Bild aus Nägeln?«
    Jetzt kann ich mir eine Bemerkung nicht verkneifen:
    »Oma, Nägel haben in der christlichen Kunst eine große Tradition. Du musst dir nur Jesus und das Kreuz dazu denken.«
    Meine Oma schaut mich verdutzt an, während die Aufmerksamkeit meines Vaters vom Paul-Klee-Aquarell absorbiert wird, das meine Mutter nun neben den Weihnachtsbaum an die Wand hält.
    »Und – was meinst du, Rigobert?«
    Mein Vater starrt ins Leere. Sein typischer Ausdruck, wenn er in Gedanken versunken ist.
    »Rigobert?«
    Jetzt scheint sich mein Vater in seinem Kopf mit jemandem zu unterhalten. Er wird zunächst wütend, dann entspannt er sichund reibt sich schließlich die Hände – als hätte er seinem imaginären Gesprächspartner aber mal so richtig die Meinung gegeigt. Dann kommt er zurück in die Realität und scheint kurz überrascht, dass ich im Raum bin.
    »Daniel, wusstest du eigentlich, dass Paul Klee bei den Nazis als ›entartet‹ galt?«
    Ich schaue zur Uhr.
    »23 Minuten 44 – das ist guter Durchschnitt.«
    Ein kleines Spiel von mir: Wenn ich meinen Vater treffe, stoppe ich die Zeit, die er braucht, bis er auf den Nationalsozialismus zu

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