Der Boss
mit dem Titel Text für Ralf Süffels und lese Lysa, Karl und Ulli vor :
Ich schließe das Dokument, und keiner von uns weiß, ob er lachen oder weinen soll. Ich schaue betroffen in die Runde:
»Tja, ich sag mal: Man merkt, dass der Autor jetzt nicht direkten Zugang zum Hip-Hop-Milieu hat.«
Lysa lacht:
» Mit mir ist nicht gut Kirschen essen – also, wenn es im 19. Jahrhundert Hip-Hop gegeben hätte, wäre das ziemlich innovativ gewesen.«
Ulli schwelgt in Erinnerungen:
» Ich zieh dir die Hammelbeine lang – das erinnert mich an die Besuche bei meinem Urgroßvater in der Eifel.«
Karls Augen funkeln:
»Kein Problem: Wenn um Bernd Banane zehn fast nackte Mädels in High Heels und Netzstrümpfen mit ihren Ärschen wackeln, dann achtet sowieso kein Schwein mehr auf den Text.«
Lysa schaut ihn mit gespielt genervtem Blick an:
»Lass mich raten: Du machst das Casting und führst beim Videodreh Regie.«
Karl schließt jetzt die Augen und scheint ein sehr konkretes Bild im Kopf zu haben:
»Jaaaa … Das könnte ich mir vorstellen, Lysa. Wenn du mittanzt, wird es noch besser.«
»Kann es sein, dass du auf dem hormonellen Status eines 15-Jährigen stehen geblieben bist?«
»Ja. Und es ist toll.«
Karl lehnt sich selbstzufrieden in seinem Stuhl zurück, und Ulli beweist, dass er gleichzeitig seinen Puls messen und brainstormen kann:
»Wenn man die Bässe sehr hart macht und Ralf Süffels etwas undeutlich singt, wird der Text unverständlich. Das könnte klappen.«
»Apropos – lasst uns mal das Playback anhören …«
Ich klicke auf das MP 3, und kurz darauf erklingt etwas, das sich anhört, als hätte man einen achtzigjährigen Alleinunterhalter auf einer goldenen Hochzeit gebeten, mit seiner Heimorgel doch auch mal was Flottes zu spielen. Mit Hip-Hop hat es so viel zu tun wie ein Gitarrensolo von Matthias Reim mit Heavy Metal.
Nach vierzig Sekunden platzt es aus Karl heraus:
»Mach das aus. Bitte!«
Ich drücke auf Pause und spüre Erleichterung im Raum. Es folgt ein langes betroffenes Schweigen. Karl dreht sich eine neue Zigarette und fügt diesmal eine beträchtliche Portion Hanf hinzu – wohl um vor der bitteren Realität zu fliehen. Ulli seufzt:
»Mein Puls ist 95, und das ist totaler Müll.«
Karl lacht höhnisch:
»Müll ist ein Euphemismus.«
Lysa schaut angeekelt:
»Da klingt selbst ein Tinnitus angenehmer.«
Ulli hält sich kurz die Ohren zu:
»Nein, mein Tinnitus klingt schlimmer. Aber es ist das schlechteste Stück Musik, das ich je gehört habe.«
Ich merke auf:
»Schlimmer als damals der Grand-Prix-Beitrag von Rudolf Mooshammer?«
Alle nicken.
»Und schlimmer als der Grand-Prix-Beitrag von Zlatko?«
Alle nicken betroffen. Ich stocke.
»Wisst ihr, was das bedeutet? Wenn es noch peinlicher als Zlatko ist, dann ist es das Erste, das auf der nach oben offenen Zlatko-Skala den Wert von 1 Zlatko übersteigt.«
Karl nickt:
»Dann muss es ab heute Bernd-Banane-Skala heißen. Und der Bernd-Banane-Song hat den Wert von 1 Banane.«
Ich protestiere:
»Wieso? Die Zlatko-Skala ist doch nach oben offen. Also gebe ich dem Bernd-Banane-Song 1,05 Zlatko.«
»Ja. Oder Zlatkos Grand-Prix-Song 0,95 Banane auf der Bernd-Banane-Skala.«
»Aber das ist meine Skala, und ich habe mich daran gewöhnt. Außerdem will ich nicht alles umrechnen.«
»Das wäre überhaupt kein Problem. Was war bisher auf dem 2. Platz?«
»Die Panflöten-Version von Wind of Change mit 0,97 Zlatko.«
Karl tippt in den Rechner seines iPhones.
»Das macht … 0,9215 Banane.«
»Nein, wir behalten die Maßeinheit Zlatko.«
Nun mischt sich Lysa in die Diskussion ein:
»Warum messen wir nicht in Silbereisen? Für mich hat der mindestens 1,1 Zlatko.«
Karl protestiert:
»Moment, das wäre ja über einer Banane.«
Jetzt ist meine Autorität als Chef gefragt:
»Nein. Ich habe Silbereisen bei 0,85 Zlatko eingeordnet. Und dabei bleibt es auch.«
Lysa schaut mich empört an:
»Silbereisen ist definitiv peinlicher als Zlatko. Hast du mal sein Lied Ich glaube an Gott gehört?«
»Das ist peinlich, keine Frage. Aber nur 0,85 Zlatko. Weil er die Töne trifft.«
Ulli sprüht sich einen Stoß Meerwasser-Spray in die Nase:
»Ich bin beeindruckt, mit welcher Weitsicht ihr die elementaren Probleme unseres Planeten analysiert.«
Einige Sekunden schweigen wir ertappt. Plötzlich kommt mir eine Idee:
»Das ist es! Wir haben zwar nicht Deutschlands besten Hip-Hopper, aber wir haben Deutschlands schlechtesten. 1,05
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