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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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zulassen, dass deine Schwester mit einem gekauften Führerschein Auto fährt? Du bist Anwalt!«
    »Genau. Deshalb kann ich auch einschätzen, welcher Gesetzesverstoß gefährlich ist und welcher nicht. Dieser ist es nicht.«
    »Aylin kann überhaupt nicht fahren.«
    »Wieso? Sie hat doch auf dem Übungsplatz gelernt.«
    »Vier Stunden!«
    »Aylin lernt schnell. Im Sport war sie auch immer Klassenbeste.«
    »Aber das ist lebensgefährlich. Ich fahre keinen Meter mehr mit ihr. Hast du verstanden, Aylin?«
    Während rechts und links genervte Autofahrer an uns vorbeibrausen, setzt Aylin ihren Schmollmund gegen mich ein. Das ist unfair. Ich weiß, dass ich recht habe. Aber wenn Aylin auf den Schmollmund zurückgreift, würde ich sogar glauben, dass die Erde eine Scheibe ist oder dass Heidi Klum das Selbstbewusstsein junger Mädchen fördert.
    Ich bin kurz davor, mich kleinlaut wieder auf den Beifahrersitz zu setzen. Na toll – mein Verstand läuft auf Hochtouren, wenn es um die Karriere von Bernd Banane geht, aber in Überlebensfragen verhalten sich selbst Mikroorganismen intelligenter als ich. Ich glaube, mein Gehirn ist eine evolutionäre Sackgasse.
    Einige Sekunden lang kämpft mein Überlebenswille gegen die Wirkung von Aylins Schmollmund. Cem lacht:
    »Haha, gegen Aylins Schmollmund gibt es bis heute kein Rezept.«
    Das war der entscheidende Impuls, der mir gefehlt hat. Wenn der Überlebenswille nicht ausreicht, hilft mir wenigstens mein Stolz. Ich setze mich auf den Fahrersitz.
    »Okay. Ich fahre. Und das ist nicht verhandelbar.«
    Cem nickt anerkennend:
    »Respekt, Schwager. Jetzt unterscheidet dich nur noch eins von einem richtigen Türken …«
    »… und das wäre?«
    »Ein echter Türke hätte von Anfang an am Steuer gesessen – selbst wenn seine Frau besser fährt als er.«
    Nachdem Cem mit quietschenden Reifen einen U-Turn gemacht hat, starte ich den Motor und merke zum ersten Mal, dass Aylin nicht nur verführerisch, sondern auch beleidigt schmollen kann. Aus einem intellektuell nicht nachvollziehbaren Grund habe ich das Gefühl, dass Aylin sofort und ohne zu zögern unsere Beziehung beenden wird, wenn ich sie nicht innerhalb der nächsten fünf Sekunden wieder zum Lächeln bringe – und dabei ist es völlig egal, dass ich recht hatte und Aylin zu Unrecht schmollt. Schon startet in meinem Schädel ein Aylin-schnell-wieder-zum-Lächeln-bring-Methoden-Contest, bei dem es drei Ideen ins Finale schaffen:
Ich sage: »Bitte verlass mich nicht – ich liebe dich doch über alles!« (übertrieben)
Ich würge absichtlich den Motor ab und mache dazu eine lustige Bemerkung in der Art: »Merkst du, dass ich den Motor viel eleganter abwürge als du?« (Ich mache mich schon oft genug un absichtlich zum Deppen.)
Ich zitiere mit der Stimme von Helge Schneider den Vers: »Der Führer war ein armes Schwein – er hatte keinen Führerschein.« (kontraproduktiv)
    Fünf Sekunden sind vergangen. Die schlechte Nachricht: Aylin schmollt immer noch. Die gute Nachricht: Sie hat mich noch nicht verlassen. Als wir am Fernsehturm vorbeifahren, beruhige ich mich langsam: Es ist mein gutes Recht, für meine Überzeugungen einzutreten. Eine gute Beziehung zeichnet sich nicht dadurch aus, dass es keine Konflikte gibt. Sondern dadurch, dass man Konflikte überwindet. Zitat aus irgendeinem Beziehungsratgeber, den ich mal gelesen habe. Klingt toll, aber vielleicht war der Autor irgendein Idiot, der das Buch nur geschrieben hat, um vom Honorar seine Scheidung zu finanzieren, nachdem seine Frau ihn verlassen hat, weil er es nicht geschafft hat, in fünf Sekunden ihr Schmollen zu stoppen.
    Ich fahre mit miesem Gefühl in der Magengrube ins Cinedom- Parkhaus und muss eine Ehrenrunde drehen, weil alles besetzt ist. Als wir zum zweiten Mal an einem freien Frauenparkplatz vorbeikommen, hört Aylin auf zu schmollen:
    »Nimm doch den – ich bin ja eine Frau.«
    »Das gilt nur ohne männliche Begleitung.«
    »Komm schon, Daniel, jetzt sei doch nicht so spießig.«
    »Das ist nun mal die Regel.«
    Und schon schmollt Aylin wieder. Und schon stehe ich auf dem Frauenparkplatz. Es war einfach ein Reflex. Und es hat funktioniert: Aylin schenkt mir ihr süßestes Lächeln, küsst mich auf den Mund und öffnet die Tür. Na bitte. Das aufregende Gefühl, das ich bei meiner ersten Lüge hatte, durchströmt mich erneut. Ich habe eine Regel gebrochen, und was passiert? Nichts. Hihi.
    Als ich aussteige, werde ich von einem etwa sechzigjährigen Mann im

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