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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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Familie vermisst.«
    Es ist zwar lieb gemeint von Aylin, aber offenbar ist ihr nicht klar, dass ein Deutscher seine Familie frühestens nach ein bis zwei Jahren vermisst. Außerdem: Meine Eltern in einem Animationsfilm – das ist etwa so, als hätte sich Karlheinz Stockhausen ein Roland-Kaiser-Konzert angesehen. Ich versuche, das Unheil noch abzuwenden:
    »Äh, seid ihr wirklich sicher, dass ihr Ice Age 3 gucken wollt?«
    Mein Vater zögert keine Sekunde:
    »Natürlich. Die Eiszeit war eine naturhistorisch hochinteressante Epoche.«
    Ich seufze – und mein Vater ergänzt:
    »Obwohl Eiszeit natürlich ein viel zu schwammiger Begriff ist. In der Regel meint man die Weichselkaltzeit – beziehungsweise das Quartär – in der Endphase des Pleistozän.«
    Meine Mutter wendet sich an Tanja:
    »Ich finde das toll, dass du mit Mark zusammen bist. Mark hatte ja immer dieselben Probleme mit Frauen wie Daniel. Ich meine, es kann nun mal nicht jeder Mann wie Brad Pitt aussehen, aber die beiden sind unglaublich lieb, und sie brauchen Frauen, die das zu schätzen wissen.«
    Jetzt weiß ich auch wieder, warum wir Deutschen es strikt vermeiden, Eltern und Freunde zusammenzubringen. Nach ein paar Sekunden betroffener Stille, in denen mich Mark und Tanja hilflos anschauen, liefert meine Mutter einen weiteren Grund:
    »Tanja, wusstest du, dass Mark und Daniel beide perfekt Udo Lindenberg imitieren können? Das ist sooo lustig.«
    »Erika, bitte!«
    »Was hast du denn, Daniel?! Kommt, macht doch einmal vor, wie ihr euch immer begrüßt! Nur ganz kurz!«
    Mein Vater schaut zur Uhr.
    »Nur noch eine knappe Viertelstunde! Es wird Zeit, Daniel …«
    »O ja, wir müssen zum Popcorn-Stand!«
    Schnell flüchte ich in die Schlange – Aylin, Mark, Tanja und meine Eltern folgen mir. Mein Vater räuspert sich:
    »Äh, ich meinte eigentlich: Es wird Zeit, um deiner Mutter und mir eine kurze Synopsis der ersten beiden Teile vorzutragen. Damit wir nichts fehlinterpretieren.«
    »Also gut. Im ersten Teil haben das Mammut Manfred und das Faultier Sid ein Menschenkind gefunden, und …«
    »Tut mir leid, dass ich gleich einhaken muss. Das Tempus in der Synopsis ist immer das Präsens. Also: Das Mammut Manfred und das Faultier Sid finden ein Menschenkind …«
    Nach gut acht Minuten sind wir fast am Anfang der Schlange, und ich bin am Ende von Teil 2 angelangt. Meine Mutter wendet sich an Tanja:
    »Wusstest du, dass Mark sich Jacques Gelee nennt, wenn er Daniel eine SMS schreibt? Das ist ein Udo-Lindenberg-Song …«
    Ich bin entsetzt:
    »Woher weißt du das?«
    »Du hast doch mal dein Handy bei uns vergessen, und als die SMS kam, habe ich sie gelesen, weil ich dachte, es könnte was Wichtiges sein.«
    »O Mann, ich fasse es nicht!«
    Meiner Mutter ist der Vorfall nicht im Geringsten peinlich:
    »Und Daniel nennt sich Votan Wahnwitz. Das ist auch ein Lied von …«
    »Erika, es reicht jetzt.«
    »Ach komm, jetzt macht wenigstens einmal Dübndüdüüü.«
    »Ganz bestimmt nicht.«
    »Aber wieso denn nicht? Das macht ihr doch sonst immer.«
    »Ja. Aber nicht, wenn man uns zwingt.«
    »Na gut. Ich sag nichts mehr. Und wenn ihr gleich spontan Lust habt, Udo Lindenberg zu imitieren, dann macht ihr’s einfach. Ganz ungezwungen.«
    Mein Vater ist seit gut einer Minute in Gedanken versunken und macht einen leicht verwirrten Eindruck. Aylin schaut ihn besorgt an:
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Fast. Es ist nur …«
    »Ja?«
    »Wenn am Ende von Teil 2 alles auftaut, deutet das darauf hin, dass es sich um das Ende der Tundrenzeit so ungefähr 9640 vor Christus handelt. Da erwärmte sich das Klima extrem schnell zum Präboreal, dem ersten Abschnitt des Holozäns …«
    »Rigobert, du hast wirklich genau verstanden, worum es in Ice Age geht.«
    »… und insofern sollte die Fortsetzung nicht Ice Age 3 heißen, sondern Präborealzeit I .«
    Ich klopfe meinem Vater auf die Schulter.
    »Tolle Idee. Ich bin sicher, damit wäre der Film viel erfolgreicher.«
    »Wobei man auch die ersten beiden Teile korrekterweise Jungpleistozän   I und II hätte nennen müssen.«
    Die etwa zwanzigjährige blonde Servicekraft schaut meinen Vater mit einem Normalerweise-rede-ich-ja-nicht-mit-Freaks-aber-das-ist-nun-mal-mein-Job-Blick an:
    »Was darf’s sein?«
    Bevor ich Käse-Nachos und Cola bestellen kann, funkt meine Mutter dazwischen:
    »Haben Sie irgendetwas Vitaminreiches ohne Nüsse, ohne Tomaten und ohne lang gereiften Käse? Wissen Sie, mein Sohn ist

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