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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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keinen Fall nach der Premiere liegen. Denn auch wenn Türken vieles ignorieren können – eine Dimiter-Zilnik-Premiere garantiert nicht.

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32
    11   000 Jahre nach der Präborealzeit.
    Wir gehen vom Cinedom in Richtung Friesenplatz. Aylin hat sich bei meiner Mutter untergehakt und unterhält sich so gut mit ihr, dass sie ständig kichern und sich alle zwanzig Meter umarmen. Einerseits finde ich es toll, dass meine zukünftige Frau und meine Mutter sich verstehen. Andererseits höre ich, dass des Öfteren mein Name fällt, und das macht mir irgendwie Angst.
    Vor dem »Cap Royal« am Hohenzollernring bleiben wir stehen. Drinnen hippes Volk. Wenn ich mit Aylin, Mark und Tanja da reingehe, werden meine Eltern bestimmt mit Ingeborg Trutz und Dimiter Zilnik zum »Le Moissonnier« weiterziehen. Ich versuche, eine Verabschiedung einzuleiten:
    »Tja, also dann …«
    Mein Vater hat genau verstanden, was ich will:
    »… wollen wir mal reingehen.«
    Mark und ich gehören schon zu den Älteren im »Cap Royal«, aber meine Eltern, Dimiter Zilnik und Ingeborg Trutz sorgen hier für eine ebenso große Überraschung wie die Dinosaurier in Ice Age 3 .
    Die Filmvorführung verlief ohne größere Zwischenfälle – abgesehen vom Zigarrenduft, der nach einer halben Stunde darauf hindeutete, dass Dimiter Zilnik wieder aufgewacht war; und abgesehen von Ingeborg Trutz’ theatralischer Heulattacke bei der Szene, als bei Säbelzahntiger Diego die Kräfte schwinden.
    Jetzt trinkt mein Vater zum ersten Mal in seinem Leben einen Mai Thai und räuspert sich. Das hat nichts Gutes zu bedeuten.
    »Also, es war relativ schnell klar, dass der Film bewusst auf die korrekte Abbildung der Präborealzeit verzichtet – zugunsten einer wirren Ansammlung zum Teil erfundener sprechender Lebensformen, die nach dem Zufallsprinzip ständig in irgendwelche sinnlosen Kämpfe geraten und diese aus unerklärlichen Gründen nur deshalb überleben, weil sämtliche physikalischen und biologischen Naturgesetze nicht existieren.«
    Dimiter Zilnik hat in knapp fünf Minuten zwei doppelte Johnnie Walker auf ex getrunken, sodass seine Zunge sich löst:
    »Also, ich fand den Film hervorragend.«
    Mein Vater schaut ihn entsetzt an. Genau diesen Effekt wollte Dimiter Zilnik erreichen. Ich habe schon oft erlebt, dass er eine Meinung nur für den dramaturgischen Effekt vertritt. So bezeichnete er die Abholzung der Regenwälder als ›interessantes naturwissenschaftliches Experiment‹, hielt die RTL – Sendung Frauentausch für einen ›grandiosen Abschluss der Postmoderne‹ und sah in einem Drohvideo der El Kaida ›die intensivste Inszenierung seit Castorfs Nibelungen – Adaption an der Berliner Volksbühne‹.
    Mein Vater ist mal wieder vor den Kopf gestoßen:
    »Hervorragend – inwiefern? Ich meine, was …«
    »Für mich ist dieser Film eine surreale Fabel, die das Drama der Balkankriege beleuchtet.«
    »Was?«
    »Die Dinosaurier leben unter der Erde weiter. Das ist natürlich eine Metapher.«
    »Für die Russen?«
    »Selbstverständlich. Besonders deutlich wird das Drama an der Figur des Faultiers Sid, der die Saurierjungen aufzieht, also das russische Erbe symbolisch adoptiert. Und dann Angst hat, von der Sauriermutter, also von der Vergangenheit, aufgefressen zu werden.«
    Dimiter Zilnik lächelt, und mein Vater muss nachdenken. Ich bin nicht sicher, ob Dimiter Zilnik es wirklich ernst meint oder meinen Vater nur provozieren will. Ich versuche, das Gespräch umzulenken.
    »Sid wurde übrigens von Otto Waalkes synchronisiert.«
    Dimiter Zilnik trinkt einen weiteren Whisky auf ex.
    »Tja, Bruno Ganz hätte die seelischen Abgründe sicher besser verkörpert. Dafür bildet Ottos Stimme einen ironischen Kontrast zur Komplexität des Themas. Also schon fast wieder ein Verfremdungseffekt im Brecht’schen Sinne. Schwierige Frage, ob es eine Fehlbesetzung ist. Wahrscheinlich schon.«
    Mark und ich tauschen betroffene Blicke aus. So macht es keinen Spaß. Nach einem Animationsfilm muss man sich die besten Szenen erzählen und mit lustigen Geräuschen nachspielen, damit man sich noch mal kaputtlachen kann. Das ist wie Wiederkäuen und gehört zum Filmvergnügen unbedingt dazu. Eine intellektuelle Analyse macht alles kaputt. Aber Gott sei Dank sitzt ja auch noch meine Mutter am Tisch:
    »Daniel?«
    »Ja?«
    »Otto Waalkes kannst du doch auch so toll imitieren.«
    »Ja. Aber nicht jetzt.«
    »Ich weiß. Das muss spontan kommen.«
    »Super. Du hast es

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