Der Botschafter
etwas Brauchbares.
Eine Überwachungskamera der Armee hatte den Mord an Eamonn Dillon aufgezeichnet, und die Sicherheitskamera über dem Eingang der Celtic Bar hatte die Flucht des Attentäters festgehalten. Keine der beiden Kameras lieferte jedoch ein für Fahndungszwecke verwendbares Bild des Täters. Die RUC veröffentlichte wieder ihre Vertrauliche Nummer eine spezielle Hotline für Informanten, die der Polizei anonyme Hinweise geben wollen -, aber keiner der rund vierhundertfünfzig Anrufe, die daraufhin eingingen, führte zu einer heißen Spur. Zwölf Bekennerschreiben wurden unter die Lupe genommen und als Schwindel zu den Akten gelegt. Die für technische Aufklärung - Videoüberwachung und Lauschangriffe - zuständigen Stellen überprüften hastig ihre Aufnahmen aus den letzten Wochen und suchten nach übersehenen Hinweisen auf einen bevorstehenden Anschlag. Die Überprüfung blieb ergebnislos.
Anfangs gab es langwierige Diskussionen über die möglichen Hintermänner der Anschläge. Steckte dahinter eine Gruppe oder zwei? Waren sie koordiniert oder zufällig gleichzeitig verübt worden? Waren sie das Werk einer schon bestehenden paramilitärischen Gruppe oder einer neuen? Von Republikanern oder Loyalisten? Die Ermordung Eamonn Dillons und der Bombenanschlag auf die Nationalbibliothek ließen darauf schließen, die Terroristen seien protestantische Loyalisten. Der Bombenanschlag auf die Londoner U-Bahn ließ darauf schließen, die Terroristen seien katholische Republikaner, denn die paramilitärischen Einheiten der Loyalisten kämpften nur vereinzelt gegen die britische Ordnungsmacht und hatten noch nie Anschläge in Großbritannien verübt. Bekannte Aktivisten der Irisch-Republikanischen Armee und der protestantischen Ulster Volunteer Force wurden unauffällig zum Verhör geholt.
Sie alle bestritten, etwas über diese Anschläge zu wissen oder gar an ihnen beteiligt gewesen zu sein.
Um acht Uhr an diesem Abend kamen die Minister und Leiter der Sicherheitsdienste im Cabinet Room, Nr. 10 Downing Street, zu einer Lagebesprechung mit Premierminister Blair zusammen. Alle Beteiligten gestanden widerstrebend ein, keine handfesten Beweise zu haben, die auf eine bestimmte Gruppierung oder einen Einzeltäter hinwiesen. Kurz gesagt: Sie tappten völlig im dunkeln.
Um drei Viertel neun änderte sich das schlagartig.
Mitten in dem Trubel, der in der Nachrichtenredaktion von BBC Television herrschte, zirpte ein Telefon. Die Nine O'Clock News, das wichtigste abendliche Nachrichtenmagazin, gingen in einer Viertelstunde auf Sendung. Der Produzent wollte die erste Hälfte des Abendprogramms mit Liveberichten über die Terroranschläge bestreiten. In Belfast und Dublin, auf dem Flughafen Heathrow und in der Downing Street standen Reporter und Kamerateams bereit. Wegen der chaotischen Atmosphäre in der Redaktion klingelte das Telefon zehnmal, bevor eine junge Produktionsassistentin namens Ginger den Hörer abnahm und sich meldete.
»Ich rufe an, um die Verantwortung für die Hinrichtung Eamonn Dillons in Belfast und die Bombenanschläge auf dem Flughafen Heathrow und in Dublin zu übernehmen.« Ginger registrierte die Stimme des Anrufers: männlich, emotionslos, irischer Dialekt, dem Klang nach aus West Belfast. »Sind Sie bereit, meine Mitteilung entgegenzunehmen?«
»Wir haben hier ziemlich viel Arbeit, Schätzchen«, sagte Ginger. »Für so was habe ich im Augenblick wirklich keine Zeit. Nett, daß Sie angerufen haben ...«
»Legen Sie jetzt auf, machen Sie den größten Fehler Ihrer Laufbahn«, behauptete der Unbekannte. »Was ist, wollen Sie meine Mitteilung aufnehmen - oder soll ich lieber bei ITN anrufen?«
»Also gut«, sagte Ginger und wickelte sich eine rote Locke um ihren angekauten Zeigefinger.
»Haben Sie was zu schreiben?«
Ginger hatte drei Filzschreiber an Kordeln um ihren Hals hängen. »Natürlich.«
»Die Hinrichtung des IRA-Terroristen Eamonn Dillon, der Bombenanschlag auf die Nationalbibliothek in Dublin und der Bombenanschlag auf die U-Bahn am Flughafen Heathrow sind auf Befehl des Militärrats der Ulster Freedom Brigade ausgeführt worden. Die Ulster Freedom Brigade ist eine neugegründete protestantische paramilitärische Organisation, kein Pseudonym für eine bereits existierende Organisation wie die Ulster Volunteer Force oder die Ulster Defense Association.«
»Langsam, sonst komme ich nicht mit«, sagte Ginger ruhig, während sie eifrig mitschrieb. Der Mann, den sie beinahe als
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