Der Bourne Befehl
dass er es nicht mehr wusste.
»Auf den General! Seine Feinde sollen verrecken!«, rief Iwan.
»Iwan, bitte!«
»Nein, Boris, das muss sein! So etwas muss man einfach feiern! Wie viele Männer erreichen schon, was du erreicht hast?« Er rollte seine dürren Schultern. »Bist du denn nicht stolz auf deinen Erfolg?«
»Sicher«, antwortete Boris. »Es ist nur …« Seine Stimme verebbte.
»Was?«, fragte Iwan und richtete sich auf. »Was hast du auf dem Herzen, alter Freund? Komm schon, wir haben schon so viel zusammen durchgestanden, da wirst du mir doch nichts verschweigen.«
Boris holte tief Luft und nahm noch einen Schluck von dem feurigen Wodka. »Iwan, ich bin nach all den Jahren zum ersten Mal richtig in der Klemme, und ich weiß einfach nicht, wie ich da wieder rauskomme.«
Wolkin stieß einen grunzenden Laut hervor. »Es gibt immer einen Ausweg, mein Freund. Bitte, sprich doch weiter.«
Boris erzählte ihm von dem Deal, den er mit seinem ehemaligen Chef geschlossen hatte, und davon, was Tscherkesow nun als Gegenleistung von ihm verlangte. Wolkin hörte schweigend zu, und ein wilder, listiger Ausdruck trat in seine Augen.
Schließlich schlug er ein Bein über das andere. »Also, so wie ich die Sache sehe, Boris Iljitsch, ist die Klemme, in der du steckst, nur eingebildet. Das Problem ist deine Beziehung zu diesem Mann namens Bourne. Ich bin ihm selbst schon begegnet, ja, ich habe ihm sogar geholfen. Aber er ist Amerikaner. Was noch schlimmer ist, ein Spion. Die Frage ist doch immer, ob man ihm trauen kann.«
»Er hat mir das Leben gerettet.«
»Ah, jetzt kommen wir zum Kern der Sache«, sagte Wolkin und nickte. »Du bist im Grunde deines Herzens ein sentimentaler Knochen. Du siehst diesen Bourne als deinen Freund. Vielleicht ist er das, vielleicht auch nicht – aber bist du bereit, alles wegzuwerfen, wofür du die letzten dreißig Jahre gearbeitet hast, nur um seine Haut zu retten?« Wolkin tippte sich an die Nase. »Vielleicht muss man die Sache als einen Test betrachten, für deine Entschlossenheit, deine Bereitschaft, auch schwere Entscheidungen zu treffen. Alle großen Dinge verlangen Opfer. Das hebt sie eben vom Gewöhnlichen ab, das macht sie zu etwas Besonderem, was nur wenige erreichen können – weil man dafür den Willen und die Fähigkeit braucht, ein großes Opfer zu bringen.« Er beugte sich vor. »Du bist ein solcher Mensch, Boris Iljitsch.«
Sie saßen eine Weile schweigend da. Eine Messinguhr tickte die Minuten herunter wie das schlagende Herz, das einem Opfer aus der Brust gerissen wurde. Boris’ Blick fiel auf ein altes Schwert aus der Zarenzeit, das er Wolkin vor vielen Jahren geschenkt hatte. Es war noch in bestem Zustand, liebevoll gepflegt, und schimmerte im Licht der Lampe.
»Dann frage ich dich eines, Iwan Iwanowitsch«, sagte er. »Was wäre, wenn mir Tscherkesow aufgetragen hätte, dich zu töten?«
Wolkin sah ihn an, und seine Augen schienen voller rätselhafter, unsagbarer Gedanken zu sein. »Manches im Leben ist ein Test, mein Freund. Und manches im Leben verlangt ein Opfer. Du wirst selbst wissen, was das bedeutet.«
Das Hochhausviertel La Défense wirkte wie ein postmoderner Fremdkörper am äußersten westlichen Rand von Paris. Und doch war es viel besser, die Bürogebäude, in denen viele Banken und Versicherungen ihren Sitz hatten, hier außerhalb der Stadt zu errichten, als die Pariser Innenstadt mit ihrer prachtvollen Architektur mit Bürotürmen zu verschandeln. Der schimmernde grüne Glaspalast der Île-de-France-Bank stand an der Place de l’Iris im Herzen des Viertels. Im obersten Stockwerk saßen fünfzehn Männer zu beiden Seiten eines blank polierten Marmortisches. Sie trugen maßgeschneiderte Businessanzüge, weiße Hemden und konservative Krawatten, auch die Muslime. Das war bei der Domna Pflicht, genauso wie der goldene Ring am Zeigefinger der rechten Hand. Severus Domna war wahrscheinlich die einzige Organisation, in der die beiden muslimischen Hauptrichtungen – Sunniten und Schiiten – friedlich nebeneinander existierten und einander unterstützten, wann immer es notwendig war.
Der sechzehnte Mann saß als Oberhaupt der Gruppe am Kopfende des Tisches. Er hatte eine Habichtsnase, durchdringende blaue Augen und eine dunkel getönte Haut. Links hinter ihm saß eine Frau mit aufgeschlagenen Notizbüchern auf dem Schoß. Sie war jünger als die Männer – zumindest sah sie so aus mit ihrem langen roten Haar, ihrer makellosen Haut und ihren weit
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