Der Bourne Befehl
passierte gar nichts, außer einem scharfen Wortwechsel auf Spanisch. Er versuchte zu verstehen, was sie sagten, doch der Sack über seinem Kopf und die eigenartige Akustik im Wagen machten es so gut wie unmöglich. Schließlich wurde er ins Freie gezogen und in kühles, schattiges Gelände geführt. Fliegen und Moskitos summten, ein herabfallendes Blatt streifte seinen Handrücken, während er weitergezogen wurde. Der beißende Gestank einer Latrine, dann der Geruch von Waffenöl, Schießpulver und säuerlichem Schweiß. Er wurde hinuntergedrückt und saß auf etwas, was sich wie der raue Stoff eines Feldstuhls anfühlte. Eine halbe Stunde passierte gar nichts, und er lauschte auf das, was rings um ihn vor sich ging. Er hörte Schritte, doch niemand sprach, ein Zeichen von eiserner Disziplin.
Plötzlich zog ihm jemand den Sack vom Kopf, und er blinzelte in dem dämmrigen Licht des Waldes. Er blickte sich um und sah, dass er sich in einem provisorischen Lager befand. Er zählte dreizehn Männer, aber es gab bestimmt noch welche außerhalb seines Blickfelds.
Ein Mann trat zu ihm, flankiert von zwei Uniformierten, die mit halbautomatischen Gewehren, Pistolen und Munitionsgurten ausgerüstet waren. Bourne erkannte Roberto Corellos aufgrund der ausführlichen Beschreibung, die ihm Moira gegeben hatte. Er war ein gut aussehender Mann, wenn auch auf eine raue, ungeschliffene Art. Und mit seinen glühenden Augen und seiner intensiven männlichen Präsenz besaß er ein Charisma, das sicher seine Wirkung auf diese Männer hatte.
»Also …« Er zog eine Zigarre aus der Brusttasche seines kunstvoll bestickten Guayabera-Hemdes, biss das Ende ab und zündete sie mit einem schweren Zippo-Feuerzeug an. »Da wären wir also, Jäger und Beute.« Er blies eine aromatische Rauchwolke aus. »Aber ich frage mich – wer ist wer?«
Bourne musterte ihn aufmerksam. »Komisch«, sagte er, »Sie sehen gar nicht aus wie ein Sträfling.«
Ein Lächeln erschien auf Corellos’ Gesicht, und er breitete die Arme aus. »Tja, das liegt daran, dass meine Freunde von der FARC so nett waren, mich aus dem Gefängnis rauszuholen.«
»Interessant«, erwiderte er, »Sie sind immerhin einer der mächtigsten Drogenbosse Lateinamerikas.«
»Der Welt!«, korrigierte Corellos, die Zigarre hoch erhoben.
Bourne schüttelte den Kopf. »Linke Guerillas und rechtsgerichtete Kapitalisten – wie passt das zusammen?«
Corellos zuckte die Achseln. »Die FARC hasst die Regierung, und ich auch. Wir haben einen Deal. Wir helfen uns hin und wieder ein bisschen, und die Scheißkerle von der Regierung müssen darunter leiden. Ansonsten lassen wir uns in Ruhe.« Er blies noch eine aromatische Rauchwolke in die Luft. »Mir geht’s ums Geschäft, nicht um Ideologien. Ich mache Geld. Weltanschauungen interessieren mich nicht. Kommen wir also zum Geschäftlichen.« Corellos beugte sich hinunter, die Hände auf die Knie gestützt, sodass er mit Bourne auf Augenhöhe war. »Wer hat Sie hergeschickt, um mich umzubringen, Señor? Welcher von meinen Feinden?«
Dieser Mann war eine Gefahr für Moira und ihre Freundin Berengária. Auf Phuket hatte Moira ihn gebeten, Corellos auszuschalten. Moira hatte ihn noch nie um etwas gebeten, deshalb wusste er, dass es extrem wichtig sein musste, vielleicht eine Sache auf Leben und Tod.
»Wie haben Sie herausgefunden, dass ich hergeschickt wurde, um Sie zu töten?«, fragte Bourne.
»Wir sind hier in Kolumbien, mein Freund. Hier passiert nichts, von dem ich nichts weiß.«
Es gab noch einen anderen Grund, warum er nicht gezögert hatte, Moiras Wunsch zu erfüllen. Bei seinem dramatischen Aufeinandertreffen mit Arkadin hatte er auch etwas über sich selbst gelernt. Er hasste die Pausen, die Zeiten, in denen nichts zu tun war, die dunklen, einsamen Momente, in denen die Welt für ihn stillzustehen schien und er wie ein Außenseiter zusehen musste, wie die anderen ihr Leben lebten. Er fühlte sich nur lebendig, wenn er aktiv war, wenn sein Geist und sein Körper bis zum Äußersten gefordert wurden und er am Abgrund zwischen Leben und Tod balancierte.
»Na?«, fragte Corellos, und seine Nase berührte beinahe die von Bourne. »Was haben Sie mir zu sagen?«
Bourne hämmerte seine Stirn gegen Corellos’ Nase. Er hörte das Knacken des brechenden Nasenbeins und befreite seine Hände von der Schnur, die er heimlich durchgeschnitten hatte. Er packte den Mann, schwang ihn herum und klemmte Corellos’ Hals in seine Armbeuge.
Gewehrläufe
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