Der Brandstifter
alles an Steve weiter, sondern hielt ihn nur noch mit ein paar Kleinigkeiten im Geschäft. Es war gut, eine Reserve zu haben, für den Fall, dass ich mal ein bisschen Taschengeld brauchte. Und ganz abgesehen davon hatte ich festgestellt, dass die Leute plötzlich sehr nett zu mir waren, als sie merkten, dass ich ihnen ab und an mit ein paar stimmungsverändernden Mittelchen aushelfen konnte. Außerdem bekam ich das Gefühl, dass es vielleicht auch in Oxford günstig sein könnte, ein paar davon in der Hinterhand zu haben. Oma hat nie etwas bemerkt, selbst dann nicht, als ich ihr Tramadol gegen Aspirin austauschte. Und jedes Mal, wenn sie über ihr Befinden klagte, redete ich ihr zu, wieder zum Arzt zu gehen. Sie klapperte mehrere Ärzte im Ort ab, und so gab es immer genug Nachschub an Medikamenten.
Zwei Monate vor Beginn des Studiums kochte ich Oma unmittelbar vor dem Zubettgehen eine schöne Tasse Tee und gab ihr ihre Schmerzmittel, so wie sie es mir aufgetragen hatte. Nur, dass ich ihr sagte, dass sich die Dosierung geändert hatte und sie jetzt dreimal so viel brauchte wie bisher. »Ach, und diese Tabletten auch noch. Der Apotheker hat gesagt, dass du die hier mit den anderen zusammen nehmen sollst, damit sie besser wirken. Na dann Prost, Oma!«
Ich war mir nicht ganz sicher, ob das ausreichen würde. Ich stand vor unserer Zimmertür und lauschte auf ihren Atem, der flach und schleppend war. Dabei hoffte ich bei jedem ihrer zitternden Atemzüge, dass es der letzte sein mochte. Doch die alte Hexe war nicht totzukriegen. Das machte mich fertig. Es machte mich total fertig, dass ich ihr eine Überdosis eingeflößt hatte, die ihr innerhalb weniger Stunden das Lebenslicht hätte wegpusten müssen, aber sie lag da und keuchte immer noch vor sich hin. Schließlich ging ich zu ihr hinein, nahm ein Kissen von meinem Bett, drückte es ihr aufs Gesicht und hielt es fest, während ich versuchte, mich an alle Nummer-Eins-Hits von Madonna in der richtigen Reihenfolge zu erinnern. Es ist schon verrückt, was einem in so einem Moment durch den Kopf geht. Dabei mag ich Madonna nicht mal.
Als der Arzt kam, um den Totenschein auszustellen, war er ein bisschen skeptisch wegen Oma und hielt eine Obduktion für angebracht. Ein außerordentlich misstrauischer Mensch, dieser Dr. Considine. Ich erzählte ihm, dass ich befürchtete, sie könnte ihre Medikamente verwechselt haben, und zeigte ihm einen Haufen leerer Gläschen. Vielleicht sei ihr über die Jahre auch zu viel verschrieben worden und was denn er davon halte.
Seltsamerweise hat er den Totenschein dann doch sehr schnell unterschreiben können.
Entsprechend dem Testament, das Oma hinterließ, bekam Mum das Geld. Ich kriegte eine gravierte Schmucksteinbrosche, die mir noch nie gefallen hatte. Aber das war mir egal. Schon bevor sie tragischerweise verschieden war, hatte ich ihre Geldkarte stibitzt und mir im Verlauf mehrerer Wochen einen hübschen Teil ihrer Ersparnisse gesichert. Arme Oma, sie war schon ein bisschen neben der Spur gewesen mit der Extradosis Beruhigungsmittel, die ich ihr immer gab– zu durcheinander, um mitzubekommen, dass ich sie beklaute. Aber nach meiner Abreise wäre sie eben aus dem Nebel wieder aufgetaucht und mir auf die Schliche gekommen. Ich hatte also keine Wahl– ich musste sie loswerden. Irgendwie vermisste ich sie doch, auf eine eigenartige Weise– es konnte passieren, dass ich nachts aufwachte und auf ihr Schnarchen lauschte, bis es mir wieder einfiel. Mum war fix und fertig. Sie wurde zu einem unfreiwilligen » Erholungsaufenthalt« in die nächste Klapse eingewiesen, und ich nutzte die Gelegenheit, um meinen Kram zu packen und zu verschwinden. Ich sagte ihr weder, wohin noch warum, aber ich hinterließ ihr eine Nachricht, dass es mir gutging. Sie hätte mich über die Schule ausfindig machen können, wenn sie daran gedacht hätte, dort nachzufragen, aber ich nehme an, es ist ihr nie in den Sinn gekommen. Jedenfalls habe ich sie seither nie wiedergesehen. Ich weiß nicht mal, ob sie noch lebt. Und ich werde auch nicht versuchen, es herauszufinden, nicht in der Phase, in der ich bin. Es ist schon eigenartig. Ich habe mich immer für sie geschämt, und jetzt habe ich Angst, dass sie sich für mich schämt.
Zu Studienbeginn war herrliches Wetter. Tagsüber war es warm und sonnig und abends schon recht kühl. Wenn ich so darüber nachdenke, muss es wohl Ende September gewesen sein, als ich nach Oxford kam, aber es war so ein September, der
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