Der Brandstifter
einem noch einen Nachgeschmack von Sommer gönnt. Das kleinste Fleckchen Grün war besetzt mit Studenten, die im Gras faulenzten, einander zuwinkten und sich über ihre Urlaubsreisen in den Sommerferien austauschten. Mittendrin lief ich herum wie Falschgeld. Ich konnte immer noch nicht fassen, dass ich tatsächlich angekommen war, dass auch ich am Fluss sitzen durfte, einen Stundenplan hatte und meinen ersten Aufsatz schreiben musste. Ich hatte noch ein paar Tage Zeit, ehe ich die Lektüreliste in mein Fach gelegt bekam, und verbrachte sie damit, mich im College und in der Stadt zurechtzufinden, mein Zimmer einzurichten und mit so gut wie niemandem zu reden. Es war nicht meine Art, auf andere zuzugehen und mich vorzustellen. Alle anderen fanden unentwegt neue Freunde, als ob das das Allerwichtigste für sie war. Ich hielt mich von den meisten Collegefeiern fern– den Saufpartys, den von der Studentenschaft organisierten Kneipentouren, von den Veranstaltungen zum Kennenlernen. Ich war gern allein. Ich mochte die Stille. Ich mochte es, zu schweigen und die Zeit so träge durch meine Finger rinnen zu lassen, wie der Fluss dahinfloss.
Und das war das Einzige, was mich beunruhigte. Im Gartenhaus hatte ich keineswegs eine nette, kleine separate Zelle ganz für mich allein, so wie ich es eigentlich gehofft hatte. Ich wohnte im dritten Innenhof, einem der älteren Teile des Gebäudes, in einer Wohneinheit, die aus zwei separaten Zimmern, einem großen Wohnbereich und faszinierenderweise einem Bad nur für die beiden Bewohner bestand. Diese Räume waren heiß begehrt: Jeder, der es geschafft hatte, mir zu entlocken, wo ich wohnte, versicherte mir daraufhin, wie sehr er mich darum beneidete. Ich hingegen war total aufgebracht. Die andere Person war noch nicht aufgetaucht. Was, wenn ich mit ihr nicht zurechtkam? Was, wenn sie zu laut war? Oder laute Musik mochte? Oder gar lauten Sex? Was, wenn wir nichts gemeinsam hatten? Was, wenn sie mich nicht leiden konnte?
Als die Tage verstrichen und das andere Zimmer immer noch leerstand, begann ich zu hoffen, dass sie gar nicht mehr käme. Wahrscheinlich stimmte etwas nicht, dachte ich. Vielleicht war sie krank. Möglicherweise hatte sie beschlossen, dass Oxford doch nicht das Richtige für sie war. Als es dann Freitag wurde, war ich fast sicher, dass sie nicht mehr eintreffen würde und ich das Jahr in herrlicher Einsamkeit verbringen konnte. Ich räumte ein paar Dinge aus meinem Zimmer– ein rosa Kissen mit karierter Bordüre, das ich mir gekauft hatte, nachdem mir aufgefallen war, dass andere Studenten ihre Zimmer mit persönlichen Dingen gestalteten; ein Poster mit dem » Kuss« von Klimt (mein Geschmack war damals ziemlich durchschaubar)– ins Wohnzimmer, um dem Wohnheim-Beige der dortigen Möbel einen Farbtupfer zu verleihen. Probehalber setzte ich mich in einen der Sessel. Fernseher oder Stereoanlage besaß ich nicht und vermisste ich auch nicht. Aus dem Innenhof drangen Gesprächsfetzen herauf, ich hörte das Ticken meiner Armbanduhr, meinen Atem, und für einen Moment empfand ich tiefen Frieden.
Doch dann: Schritte auf der Treppe. Mehrere Leute, rasch und zielgerichtet. Sie trugen schwere Dinge, die an den Wänden scharrten. Eine Männerstimme dröhnte, gefolgt von einer glockenhellen Antwort.
» Hier ist es!«
Ich stand auf und wusste nicht wohin (Weglaufen? Mich in meinem Zimmer verstecken? Oder im Bad? Zu spät…), und so sah ich Rebecca das erste Mal, als sie durch die Tür gestolpert kam und lachte, weil sie mit dem Fuß hängen geblieben war. Sie hatte goldbraune Haut und üppige, glänzende Locken. Sie hörte sofort auf zu lachen, als sie mich da stehen sah, mit verschränkten Armen, als hätte ich auf sie gewartet.
» Oh, Entschuldigung. Mal wieder typisch ich. Also, ich heiße Rebecca.«
» Louise.« Ich löste einen Arm aus der Verschränkung, um ihr verlegen zuzuwinken, was ich augenblicklich bereute, da es bestimmt furchtbar unbeholfen aussah. Aber noch ehe ich mich wieder erholt hatte, kam Rebeccas Vater mit einem großen Karton durch die Tür, gefolgt von ihrer Mutter, die Kleidersäcke über dem Arm trug.
» Ach, ist das aber hübsch! Rebecca, so ein schönes Zimmer. Und wen haben wir denn hier?« Als ich sie besser kennen gelernt hatte, wusste ich, dass Avril ein ausgesprochen geselliger und ungezwungener Mensch war, aber damals hatte ich noch nie jemanden getroffen, der so war, und fühlte mich daher schrecklich eingeschüchtert von Rebeccas
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