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Der Brandstifter

Der Brandstifter

Titel: Der Brandstifter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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und nie etwas weggeworfen. Bis dahin hatte ich diese Dinge eigentlich nur als Alte-Leute-Kram betrachtet, aber nun wurde es plötzlich zur ungenutzten Möglichkeit.
    Ich fing an, hier und da ein paar Tabletten zu klauen– nie so viel, dass es ihr oder dem Arzt aufgefallen wäre, aber genug, um mir damit ein bisschen Kleingeld zu verdienen. Bald löste ich regelmäßig ihre Rezepte in der Apotheke ein und ließ dabei ab und zu etwas mitgehen. Auf einen Schlag war ich sehr hilfsbereit geworden und rannte immer gleich los, um ihr ihre Pillen zu holen, wenn sie vorm Fernseher saß. Sie gewöhnte sich daran. Es gefiel ihr, dass ich ihr neuer Handlanger war. Und mir gefiel es auch– aus naheliegenden Gründen. Steve wollte ein paar Prozent Anteil haben, aber das fand ich in Ordnung. Das verringerte mein Risiko, geschnappt zu werden. So kam ich also zu ein bisschen Bargeld, das ich in einem alten Briefumschlag bei mir im Zimmer versteckte. Er war mein kostbarster Besitz. Manchmal stand ich mitten in der Nacht auf, um ein neues Versteck dafür zu suchen, wobei ich den Atem anhielt, damit ich Oma nicht aufweckte. In der Schule musste ich immerzu daran denken und rannte meistens regelrecht nach Hause, um nachzusehen, ob ihn auch niemand entdeckt hatte. Nie habe ich etwas davon ausgegeben. Nicht ein einziges Pfund. Und obwohl immer nur kleine Beträge hinzukamen, summierte sich das am Ende doch ganz schön.
    Nun kann man von Drogenhandel halten, was man will, aber mir hat er es auf jeden Fall ermöglicht, zum Vorstellungsgespräch nach Oxford zu fahren. Ich selbst hätte nie und nimmer gedacht, dass jemand wie ich dort studieren könnte. Aber ich hatte einen Lehrer, Mr. Palmer, der mich eines Tages nach der Mathestunde beiseitenahm, mir seinen sauren, nach Kaffee stinkenden Atem ins Gesicht hauchte und mir von Oxbridge erzählte und dass ich mich doch bewerben und von nichts aufhalten lassen solle. Er selbst war in Cambridge gewesen und erzählte mir alles darüber. Er berichtete von der Landschaft, dem Fluss, den Sümpfen. Und da wurde mir klar: Dort wollte ich nicht hin. Ich fand, Mr. Palmer hätte mehr für sich erreichen können. Aber man kann sich nicht in einem Jahr für beides bewerben– man muss sich entscheiden. Also Oxford.
    Und Oxford entschied sich für mich. Ohne es zu wissen, rannte ich dort offene Türen ein. Sie überschlugen sich geradezu, um den Bewerberanteil aus staatlichen Schulen zu erhöhen. Ich hätte Männchen auf meine Prüfungsbögen malen können und wäre trotzdem zum Gespräch eingeladen worden. Als im November der Brief kam, war ich völlig aus dem Häuschen. Vorstellungsgespräche Anfang Dezember. Unterbringung im Latimer College, obwohl ich auch noch in zwei anderen Colleges Gespräche haben sollte. Informationen, wie man nach Oxford kommt, was man mitbringen soll, wie lange es dauert, wann ich erfahren würde, ob ich angenommen war. Mr. Palmer bot mir an, mir das Fahrgeld persönlich zu borgen, da er vermutlich wusste, dass jede diesbezügliche Bitte an Mum oder Oma von vornherein sinnlos war. Aber ich lehnte ab, ich schaffe das schon, und dachte dabei an den zusammengerollten Umschlag, der zu der Zeit in einem von zwei alten Turnschuhen unter meinem Bett steckte, ganz hinten an der Wand. Der Umschlag war vom vielen Anfassen schon ganz weich geworden, das Papier in Millionen kleine Falten zerknittert, die eingerissenen Ränder fühlten sich flaumig wie Samt an, und darin steckten ungefähr 900 Pfund.
    Ich sagte ihnen nicht, wohin ich fuhr, und Mum fragte auch gar nicht nach. Oma war schon ein bisschen neugieriger, aber ich schaffte es, sie mit einer erfundenen Geografie-Exkursion abzuwimmeln. Offenbar wusste sie nicht mal, dass Geografie gar nicht zu meinen Abschlussfächern gehörte. Mit ein bisschen Rebellion und kleinen Lügen wurde mein Leben einigermaßen erträglich. Betrug in homöopathischen Dosen. Was sie nicht wussten, musste sie auch nicht kümmern. Von einem Teil des Geldes kaufte ich mir angemessene Kleidung für die Vorstellungsgespräche– ein schlichtes schwarzes Kleid, dazu dicke Strumpfhosen und Ballerinas. Den Rest verstaute ich in meinem Rucksack. Zu Hause lassen konnte ich es auf gar keinen Fall. Ich fuhr mit dem Bus bis London, dort stieg ich um in Richtung Oxford und kam dort an, als gerade die Sonne unterging. Es war einer dieser Wintersonnenuntergänge, wenn der Himmel ganz klar ist und die Sonne tiefrot. Als ich dieses Licht durch die kahlen Bäume am Fluss

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