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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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›Der Schweinehüter‹ vier neue Zeilen bekommt, die Thomas Bernhard mir gegeben hat. Er legt größten Wert darauf, daß das Motto von Pascal ebenfalls abgedruckt wird.«
Zu den zwei Fassungen von Der Kulterer siehe Anm. 1 zu Brief 332 sowie den Kommentar in Th. B.: Werke 11 , S. 366-371. Die Fassung von Die verrückte Magdalena aus dem Linzer Tagblatt vom 17. Januar 1953 ist identisch mit der am selben Tag im Demokratischen Volksblatt erschienenen Version (siehe den Kommentar in Th. B.: Werke 14 , S. 587f.; zu den diversen Schlußversionen von Der Schweinehüter siehe den Kommentar in Th. B.: Werke 14 , S. 581-583).

[385; Anschrift: Ohlsdorf]
     
    Frankfurt am Main
    16. Juli 1979
    Lieber Thomas,
    ich habe im Hause Ihre Entscheidung bekanntgegeben, und es ging ein wahres Geheul los! 1 Die Vertreter verkaufen den Band hervorragend. Unsere Werbeleute haben sich schon auf eine große Werbekampagne festgelegt. Die Herstellung hat DM 10.000.— für Satzkosten ausgegeben. Der Vertriebsleiter will sich das Leben nehmen, weil 1200 Buchhändler von der Ausgabe wissen, und sie soll nun nicht kommen!
    Folgende Lösung böte sich an: Wir nennen den Band nicht mehr »Die Erzählungen«. Wir lassen die Ihnen anstößig erscheinenden frühen Erzählungen weg und beginnen nur mit den Texten, die Sie selbst in Buchausgaben mit hineingegeben haben. Es wäre dann ein Band mit Erzählungen von Thomas Bernhard und, wie ich meine, keine Gesamtausgabe und eine Konzentration auf das Wichtigste.
    Schreiben Sie mir doch noch eine Zeile, oder schicken Sie mir ein Telegramm, bevor hier im Hause Verzweiflungen und eine Serie von Selbstmorden ausbrechen.
    Herzliche Grüße
    Ihr
    [Siegfried Unseld]
    1   Unter dem Datum des 6. August [gemeint ist Juli] notiert S. U. in der Chronik :
»Aufregung mit Thomas Bernhard. Plötzlich ist er mit dem Plan ›Die Erzählungen‹ nicht einverstanden, er will nicht mehr ›Die Erzählungen‹, d. h. nicht mehr die frühen Erzählungen, dafür will er aber doch den Titel beibehalten.«

[386]
     
    Ohlsdorf
    18. Juli 79
    Lieber Siegfried Unseld,
    die Selbstmordrate in Deutschland ist zum Unterschied von Österreich so niedrig, dass sich, in dieser übervölkerten Zeit, die zu zerplatzen droht, ohne weiteres sagen wir ein Drittel aller Deutschen umbringen könnte, aber diese Tapferen müssen ja nicht ausgerechnet aus dem Suhrkampverlag sein, von welchem noch in Jahrhunderten gesagt werden wird, dass er als eine der allerwenigsten Institutionen in Europa, die tatsächlich einen grossen Wert haben, gesprochen [sic] werden wird, mit der allergrössten Bewunderung. Im Jahr Dreitausend wird man den Geist unseres Jahrhunderts ausgraben, wenn man Stück für Stück mit dem Siegel Suhrkampverlag ausgraben wird. Man wird staunen, was für Schätze von dieser heute als entsetzlichen kopflosen Zeit übriggeblieben sind.
    Da ich also den Massenselbstmord in der poetischen Lindenstrasse verhindern will, als Vernunftmensch unter allen Umständen, machen wir den Band doch , auch wenn ich ihn nicht haben will. Da er aber gemacht wird, soll er durchaus » Die Erzählungen« heissen und nicht nur »Erzählungen«, was ich abstossend finde, aber er darf nur die Erzählungen von »Amras« bis »Ja« enthalten, also alles vor »Amras« nicht und nach »Ja« nicht. Auch muss er sich auf die sogenannten grossen Erzählungen beschränken und darf nichts auch nur andeutungsweise aus den Romanen enthalten. Also nur von »Amras« bis »Ja« und nur die sogenannten tatsächlichen Erzählungen. Und er muss natürlich »Die Erzählungen« betitelt sein.
    Um den Fall abzuschliessen, bitte ich, mir die nichtgebrauchten Stricke (gleich welcher Qualität) und Pistolenkugeln abzustatten, um ganz sicher zu sein, dass sie wenigstens in nächster Zeit nicht zur Verwendung kommen.
    Ich habe schon soviel ausgehalten, werde also auch »Die Erzählungen« aushalten. Ich nehme als selbstverständlich, dass sie so gemacht werden, dass es mich nicht graust, am liebsten weisse Schrift auf Schwarz, sonst nichts.
    In ebensolcher Ausstattung wünschte ich, nachdem wir diesen Fall zur Zufriedenheit aller erledigt haben, »Minetti«, das Stück, in der BS. Im Frühjahr.
    Wenn Sie mich jetzt noch einmal verfluchen, so bin ich ja soweit weg, dass es mich nicht umwirft.
    Bitte grüssen Sie die Burgel Zeeh, die meinen letzten Frankfurtausflug so perfekt arrangiert hat. Es hat mich nicht gereut.
    Ihr
    Thomas B.

    P. S.: »Die Erzählungen«

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