Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
an S. U. vom 2. Oktober hält Burgel Zeeh fest: »Telefonat mit Thomas Bernhard [. . .]. Im Oktober geht er für zwei Wochen nach New York, Frau Wilson hat er unterrichtet, sie wird ihrerseits wohl Frau Honegger benachrichtigen. Ich sagte ihm kurz, daß wir ein sehr gutes Gutachten zu ihrer ›Jagdgesellschaft‹-Übersetzung erhalten haben.« Während seines Aufenthalts in New York – die einzige USA-Reise, die Th. B. unternimmt — trifft er Gitta Honegger, die mehrere seiner Stücke ins Amerikanische übersetzt und die diese erste Begegnung mit dem Autor so darstellt: »Er reiste mit seinem Bruder und den langjährigen Freunden Viktor und Grete Hufnagl. Da ich seine Stücke übersetzt hatte, wollte er mich kennen lernen. Er berichtete, dass die Suhrkamp-Lektoren von meiner jüngsten Übersetzung der Jagdgesellschaft sehr beeindruckt waren. Dann bat er mich, ihm bei der Suche nach einem Geschäft zu helfen, das ›Arrow‹-Hemden verkauft. Ich fand ein solches.« (Gitta Honegger, Thomas Bernhard , S. 24)
[391; Anschrift: Ohlsdorf; Telegrammnotiz]
Frankfurt am Main
23. Oktober 1979
Erbitte Anruf 1 – Herzlichst Siegfried Unseld Suhrkamp Verlag
1 Da S. U. in seiner Chronik für den 23. Oktober festhält: »Nur ein Thema: esNF.«, ist davon auszugehen, daß er in einem Telefonat mit Th. B. dessen Widerstand gegen eine Aufnahme von Die Billigesser in die Neue Folge der edition suhrkamp überwindet.
[392; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
31. Oktober 1979
Lieber Thomas Bernhard,
»Die Erzählungen« sind erschienen, Sie haben einige Exemplare erhalten, der Band soll eine Sondersache sein, deswegen der niedrige Ladenpreis: bei einem Umfang von 608 Seiten, Leinen, DM 28.—. Wir druckten eine Auflage von 10 000 Exemplaren.
Abgesehen von den Erzählungen, für die wir Abdruckrechte eingeholt haben, sind die Texte schon bei Suhrkamp bzw. Insel erschienen und durch Verträge geregelt. Wir rechnen bei diesem Band (obschon seine Kalkulation wegen des Umfangs negativ ist) wie üblich bei den gebundenen Büchern ab, also 10% bis 10 000 Exemplare, danach 12%.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
[Siegfried Unseld] 1
1 Unter demselben Datum notiert S. U. in seiner Chronik : »In der Nacht lese ich die mir unbekannten Erzählungen von Thomas Bernhard aus dem Band ›Die Erzählungen‹. Welch ein Dichter!«
[393]
Kreta, Creta maris
26. 11. 79
Lieber Siegfried Unseld,
ich bin hier, wider Erwarten, nach entsetzlichem Sturzflug, in der glücklichsten Verfassung und ich melde mich, weil ich minos-beach besucht habe; aber hier ist es viel schöner, denn vor dem Fenster ist tatsächlich das offene Meer , nicht die lahme Bucht von dem zahm-faden Agios Nicolaos. 1 Ich will bei dieser Gelegenheit für Ihren Besuch in Ohlsdorf danken, obwohl ich den Eindruck hatte, dass Ihre Gedanken ganz woanders waren, nur nicht bei mir. Aber das kommt in den besten Köpfen vor. 2
Was Madame Maleta betrifft, so ist sie eine ausserordentlich gute Freundin, aber so unentrinnbar in dem Staats- und Diplomaten- und Industriellensumpf gefangen, dass es mir oft Schwierigkeiten macht, bei Fassung zu bleiben. Um Missverständnisse auszuräumen: mir ist das Gesellschaftsmilieu dort verhasst, aber die Person etwas wert.
Ich hatte nicht den Eindruck, dass Sie meine Arbeit besonders interessiert hätte. Dass ich ein neues Stück fertiggeschrieben habe, nahmen Sie auf wie wenn ich gesagt hätte, mir hat das letzte Nachtmahl ganz gut geschmeckt. Auch das passte natürlich in Ihre »Besuchsmoral«.
Es ist sicher nicht gut, zwei »Dichter« in einem Fluge zu nehmen, obwohl Sie alles können, das nicht!!!
Das Genie hat Schwächen gezeigt und das macht es sympathisch. Sind Sie mit dieser Formulierung einverstanden? Sie sollen sich natürlich nicht ärgern, sondern über Ihren glücklichen Autor freuen.
Dass ich aus der blöden Akademie ausgetreten bin, haben Sie sicher gelesen. |mit Magenweh, wie ich weiß!| Ich suchte seit Jahren einen Anlass, aus dieser Überflüssigkeit zu verschwinden. Mir sind Akademien verhasst. Ich habe meine Wahl damals vor zehn Jahren nicht gerufen. Nun bin ich auch daraus entkommen und segle bald vollkommen allein mit meiner Leidenschaft. 3
Sehr herzlich auch an und für Burgel Zeeh Ihr
Thomas B.
Der Erzählungsband schaut ganz schön aus, wie gesagt, aber er ist, weil ausser Kontrolle geraten aus was für Gründen immer, nicht so gelungen, dass ich eine reine Freude damit
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