Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
Lastwagen, die ein- und ausführen, und bekäme auch DM 2.000.—. Meine Orgie in Mineralwasser, trostloser Gegenpol zum Trostlosen. Was wir machten, war nichts anderes als eine Szene aus einer Komödie von Thomas Bernhard. Die Alternativen des Spiels waren samt und sonders komisch. Wir konnten so oder so entscheiden. Er mußte aus der Stimmung heraus damit rechnen, daß ich ihm zustimme, daß ich sage, ja, machen wir Schluß miteinander. Er wäre zu allem bereit gewesen, ich nicht; damit riskierte er den höheren Einsatz. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal die Nerven habe, ein solches Gespräch durchzustehen.
Wir verließen das Restaurant und fuhren zu meinem Hotel, elf Uhr abends, alles war schon zur Ruhe gegangen, es gab nicht mal ein Mineralwasser. Wieder die trostlose Situation eines Stückes von Th. B. Dann beschlossen wir innerhalb von Minuten das Folgende:
Ich schlug vor, daß dieser Text ›Kälte‹ nicht wie vorgesehen im Frühjahr 1981 bei Residenz erscheinen sollte, sondern wenn schon bei Residenz, dann unangekündigt in diesem Herbst. Ihm leuchtete das ein, vielleicht sei dies der geringste ›Schaden‹, rasch erschienen und am 31. Dezember vergessen – so stellte er sich das vor. Das sei nun unwiderruflich der letzte Text bei Residenz, er hatte mir das schon einmal in Wien zugesagt [siehe Anm. 2 zu Brief 369]. Er würde die weiteren drei Teile schreiben, Teil V ›Der Gerichtsreporter‹, Teil VI ›Der Beginn des Schriftstellerischen‹, Teil VII ›Die erste Kindheit‹. Wir veröffentlichen dann 1983 einen Band ›Kindheit und Jugend‹, er enthält die vier bei Residenz erschienenen Teile und die drei unveröffentlichten Teile, wobei Teil VII das erste Kapitel werden wird. Ein gebundenes Buch. Ein Jahr vorher, also 1982, können wir dann die ›Gesammelten Stücke‹ bringen. 1984 die ›Gesammelten Erzählungen‹, wahrscheinlich in zwei Bänden. Dann die Romane. Ein Band ›Der frühe Bernhard‹ sollte erst nach seinem Tode erscheinen.
Um Mitternacht beschließen wir, daß er am nächsten Morgen mit mir nach Salzburg fährt, sofort mit Schaffler spricht und diese Entscheidung sofort in die Tat umsetzt. […]
Um 11.30 Uhr treffen wir uns im Café Bazar [in Salzburg]. Er hatte inzwischen mit Schaffler gesprochen, das Gespräch dauerte 20 Minuten, Schaffler will das Buch ›vorziehen‹. ›Kälte‹ erscheint also zur Buchmesse. – Dann, weil die Unterredung so kurz war, war er sofort in die Höhle des Löwen gegangen, zu Herrn Kaut, dem Direktor der Festspiele, und hatte ihm das Stück ›Am Ziel‹ für 1982 angekündigt, Herr Kaut war entzückt und versprach ihm die Aufnahme. […] Eifersüchtig wachte er darüber, wie ich meine Stunden in Salzburg ausfüllte, der Name Handke fiel nicht und durfte nicht fallen. So fuhren wir zu diesem wirklich ungewöhnlichen Besitztum von Frau Konsul Schubert in Berchtesgaden, ein Besitztum, das freilich in seiner Grandiosität Bernhard durchaus angemessen war. Ich kam nicht darüber hinweg, daß gewissermaßen vom Obersalzberg aus Adolf Hitler grüßte …
Am späten Nachmittag verabschiedeten wir uns in Salzburg an meinem Hotel. Bei der Verabschiedung erhöhte er dann die Überweisungssumme um DM 5.000.— und ›kommen Sie bald wieder‹. […]
Flug Salzburg—Frankfurt. Lektüre von Thomas Bernhards Komödie ›Über allen Gipfeln ist Ruh‹. Ein erfolgreicher Bestseller-Schriftsteller hat eine Tetralogie geschrieben, eine Doktorandin ist bei ihm und ein Kritiker der FAZ, die ihn bewundern und die mit ihm über seine Arbeit sprechen. Der Verleger tritt auf, ›pünktlich wie ein Verleger‹. Er will das Manuskript haben, aber der Autor weiß, daß man dieses Manuskript-Spiel spielen muß. Am Schluß spielt man zu Ehren des Verlegers eine Passage vor. Ich schicke Bernhard am nächsten Tag ein Telegramm und bitte ihn, doch noch einmal den Schluß zu bedenken.«
[408; Anschrift: Ohlsdorf; Telegramm]
Frankfurt am Main
28. Juli 1980
die gipfelkomödie ist herrlich über den schluß und die anmerkung zur proust-übersetzung 1 würde ich nachdenken überweisung läuft
herzlich ihr siegfried unseld
1 In Über allen Gipfeln ist Ruh heißt es in einem Dialog zwischen Moritz Meister, Autor, und seinem Verleger: »VERLEGER […] Die Franzosen müßten ja alle neu übersetzt werden / aber von wem das ist die Frage / ich bin jahrelang auf der Suche nach guten Übersetzern / aber ich finde keinen akzeptablen
HERR MEISTER Proust beispielsweise
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