Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
Stück selber ist für mich eine Weiterführung über Beckett hinaus.«
[412; Anschrift: Ohlsdorf]
Frankfurt am Main
9. September 1980
Lieber Thomas Bernhard,
mein Telegramm wird Sie erreicht haben, und wie ich Sie kenne, saßen Sie in den letzten Tagen fleißig in den Cafés in Gmunden und studierten Ihren Triumph. Ein solcher war es, in jeglicher Hinsicht. 1
Jetzt haben mich verschiedene Theaterleute angesprochen, die ihrerseits an eine Realisierung des »Weltverbesserers« denken wollen. Ich habe eine merkwürdige Erfahrung gemacht: selbstverständlich haben Sie dieses Stück und diese Figur auf Minetti zugeschrieben, und er hat es vollendet dargeboten. Aber ich glaube, daß diese Rolle nicht nur Minetti spielen kann, und ich meine sogar, es muß der Versuch gemacht werden, daß auch ein anderer großer Schauspieler sich dieser Rolle annimmt. Ich hoffe, daß Sie da mit mir einig gehen. Es kommt nicht in Frage, daß jeder das Stück spielen soll, aber es würde mich ungemein interessieren, wie ein anderer Schauspieler die Rolle ausfüllen kann.
Ich habe jetzt erfahren, daß ich Ihnen nicht einmal ein Telegramm wert bin. Ich saß in meinem Hotel in Bochum, punkt 17 Uhr, und als es 17.05 Uhr wurde und Sie nicht da waren, ahnte ich das schon. Immerhin bin ich wegen dieses Treffens vier Stunden früher in Frankfurt abgefahren; ich habe dann einen nutzlosen Spaziergang in Bochum gemacht, gegenüber Bochum sind Augsburg und Trier Oasen an Annehmlichkeit. 2
Wie versprochen, bringen wir im Februar 1981 in der Bibliothek Suhrkamp den Gedichtband »In hora mortis« heraus und, wenn Sie uns jetzt den Text schicken, auch »In den Hohen Tauern«. Aber, wie gesagt, ohne Manuskript können wir das Buch nicht machen.
Minetti, Heerdegen und Peymann kämen »herzlich gerne« am 8. Februar 1981 nach Frankfurt. Minetti will seinen Berliner Spielplan so einrichten, daß er an diesem Abend frei ist, doch die Genannten kämen nicht meinetwegen nach Frankfurt.
Herzliche Grüße
Ihr
Siegfried Unseld
1 Unter dem Datum des 6. bis 8. September erwähnt S. U. in seiner Chronik einen »Hymnus« auf die Inszenierung des Weltverbesserers , den die Frankfurter Allgemeine Zeitung zwei Tage nach der Uraufführung abdruckt; Georg Hensel konstatiert dort: »[…] noch nie hat Thomas Bernhard die Welt so zufrieden verneint. Es ist der finsterste und zugleich komischste Bernhard, den es je gab. […] ein großer Abend – für Thomas Bernhard, für Minetti, für Peymann, für das deutsche Theater.« Und Heinrich Vormweg stellt in der Süddeutschen Zeitung vom selben Datum fest: »Wenn aber die Kombination Minetti, Bernhard, Peymann auch nichts Überraschendes mehr hat, für Steigerungen ist sie weiterhin gut.«
2 In Die Macht der Gewohnheit bezeichnet der Zirkusdirektor Caribaldi Augsburg als »muffiges verabscheuungswürdiges Nest«, als »Lechkloake« (Th. B.: Werke 16 , S. 102). In Der Weltverbesserer erklärt die Titelfigur: »In Trier ist die Intelligenz / nicht zuhause«, um danach eine Maxime zu formulieren: »Nie wieder Trier / nie wieder an die Mosel« (Th. B.: Stücke 3 , S. 144 bzw. 154).
[413]
Ohlsdorf
15. September 80
Lieber Siegfried Unseld,
unser Treffen in Bochum ist einem Missverständnis zum Opfer gefallen, ich habe nicht mehr in Erinnerung gehabt, wo und wann wir uns dort sehen sollten, obwohl es wahrscheinlich ist, dass ich mit der immer gleich grossartigen Frau Zeeh genau ein Wann und Wo ausgemacht habe am Telefon. 1 Die tagelange Infektion mit vierzig Fieber hat mich zu Boden geworfen und meinen Kopf zertrümmert.
Sie schreiben, Sie haben erfahren, dass Sie mir »nicht einmal ein Telegramm wert sind«; dieser Scherz trifft einen von Ihrem Wert für mich selbstverständlich vollkommen Überzeugten; würde ich Ihren Wert nach Telegrammen messen, so sind soviele bis zum heutigen Tag in der gesamten Postgeschichte Deutschlands noch nicht abgeschickt worden. Und ich würde auch noch alle Expressbriefe und Nachrichten dazurechnen und es bliebe unerheblich gegen diesen Wert Ihrerseits für mich. Ich war der Meinung, durch das Bochumer Schauspielhaus sind Sie über alles und also auch über meine Misslage genauestens informiert. Ich nehme aber an, dass Sie, der Gescheite, die vier Stunden nicht ohne geistigen Profit gelebt haben. Und wenn ich den Ärger über mich dazurechne, haben Sie noch einen grossen Gewinn gehabt. Einen umso grösseren in einer solchen grauenhaften Stadt. Die hässlichsten
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