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Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld

Titel: Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raimund Fellinger
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mit sofortiger Wirkung verboten, meine Bücher nach Österreich [auszuliefern], und zwar für die Dauer des gesetzlichen Urheberrechts, das ist von heute bis 75 Jahre nach meinem Tode. Dieses Auslieferungsverbot gilt für das gesamte österreichische Staatsgebiet und für sämtliche meiner Bücher. Da das Interesse des österreichischen Staates an mir und meiner Arbeit seit Jahrzehnten allein darin zu bestehen scheint, meine Arbeit und mich vor Gericht zu zerren, ist mein Entschluß nur konsequent. Zum vierten und nicht zum ersten Mal ist man dabei, mir als Schriftsteller einen jener lächerlichen und jahrelangen Prozesse zu machen, die dieser Staat zu verantworten hat. Mit Rücksicht auf meinen Gesundheitszustand allein kann ich mir derartige erniedrigende und entwürdigende Prozesse, die in keinem anderen Staat Mitteleuropas möglich wären, nicht mehr gestatten.«
Deshalb trifft S. U. sich mit Th. B. in Wien am 10. November 1984 »Schlag 13.00 h« im Roten Salon des Café Sacher und hält dazu in seiner Chronik fest:
»10./11. November 1984: Wien. Die Reise nach Wien war notwendig geworden, weil die Sache Bernhard eskalierte. Er hatte verärgert, wütend, verletzt über den Skandal der österreichischen Justiz das ›Verbot all seiner Bücher in Österreich‹ gewollt. Ich telefonierte in diesen Tagen häufig mit ihm, und wir vereinbarten ein Treffen.
In der Frühe, weil es neblig war, erkundigte ich mich, ob Flugzeuge starten und in Wien landen können. Bei der VIP-Stelle der Lufthansa bekam ich die Auskunft, Wien habe keinen ›fog‹, aber der Computer zeige für Wien ›mist‹ an, und um ›Mist‹ ging es auch. Kurz nach der Begrüßung mit Bernhard erzählte er mir, ob ich gehört habe, was die Richterin sagte: Ihr sei es egal, ob es ein Kunstwerk oder Mist ist. […] [Am 9. November 1984 findet eine erste Hauptverhandlung gegen Th. B. vor der Einzelrichterin Brigitte Klatt statt, bei der allerdings sowohl der Beschuldigte als auch der Privatkläger fehlen.]
Das Gespräch mit Bernhard verlief in sehr guter, aufrichtiger Atmosphäre. Ich ließ ihn nicht im Zweifel, daß sein Wunsch, seine Bücher nach Österreich nicht mehr auszuliefern, mir zwar verständlich sei, aber von mir nicht gebilligt werden könnte. Ich erklärte ihm auch, daß er ein ›Verbot‹ gar nicht aussprechen könne, und dies schon gar nicht auf die Dauer des Urheberrechts. Er habe sich bei dieser Sache [der Presseerklärung] leider blamiert, und er hätte hier doch besser vorher bei mir rückfragen sollen. Aber er berichtete mir wieder mit seinen Worten, warum ihm dieser Skandal so zusetze. Wenn ich mich nicht zu einer Nicht-Auslieferung entschließen könnte, würde er nicht mehr schreiben. Diese Drohung war gewiß übertrieben, und ich kann mir gar nicht vorstellen, daß ein so fruchtbarer Autor wie Bernhard nicht mehr schreiben würde, aber andererseits habe ich ihn doch kennengelernt, und ich weiß, er steht auch zu bizarren Maßnahmen. Das war also für mich letztlich der Grund, mich doch an seine Seite zu stellen, ihm wohl erklärend, daß meine Nicht-Lieferung nicht den free flow of books verhindern könnte, daß also jeder [österreichische] Buchhändler beim Grossisten in Frankfurt, Hamburg, Olten oder Luxembourg diese Bücher beziehen könnte.
Im Anschluß an das fast vierstündige Gespräch statement im ORF-Fernsehen, dann ein Interview im ORF-Hörfunk und am Abend dann das Gastspiel aus Bochum mit ›Der Schein trügt‹ mit Minetti und Traugott Buhre. Ein Riesenerfolg.«
Im Reisebericht Wien, 10.-11. November 1984 zieht S. U. ein Resümee und berichtet von den nächsten Vorhaben Th. B.s:
»Er war erleichtert, denn er war zum Sacher gekommen, um etwas Gemeinsames zu machen oder sich zu trennen, was immer dies nun bedeutet hätte. Im übrigen sei er voller Pläne. Es erzähle in ihm, und er möchte nur rasch aus Wien weg an einen Ort, wo er mit seiner Schreibmaschine und viel Papier arbeiten könnte. Der Ort wird Madrid sein, wo er nächsten Freitag hinfliegen würde, Hotel Imperator, Gran Via.«
Zur Vorgeschichte von Th. B.s zuletzt geschriebenem Roman Alte Meister siehe Th. B.: Werke 8 , S. 198f.

[475; Anschrift: Hotel Emperador Madrid]
     
    Frankfurt am Main
    15. November 1984
    Lieber Thomas Bernhard,
    hier ein erster Gruß für Sie in Madrid. Ich schicke Ihnen anbei die Kopie meines Briefes, den wir eingeschrieben an Herrn Dr. Berger sandten.
    Ich wünschte mir, Sie gewännen große Distanz zum Wiener

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