Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
eines Gerichtsreporters Thomas Bernhard. […]
Zum späteren Abendessen kam Claus Peymann hinzu. Elegant im Zweireiher, der andere Peymann in Wien. […] Er will die Burg zur besten deutschsprachigen Bühne und vielleicht der Europas machen. Ein bescheidenes Ansinnen. Und dazu braucht er Thomas Bernhard. Und deshalb nahm er das Andererseits des Thomas Bernhard auf und meinte, es müsse mir bei meiner Autorität gelingen, Herrn Lampersberg mit einer großen Summe, vielleicht 100 TDM, zu bestechen. Als ich dies nun hörte, sagte ich beiden, daß es eine reale Möglichkeit gebe, wonach die klagende Partei die Klage zurückzöge: eine in Deutschland lebende Österreicherin hat angeboten, die Unkosten zu erstatten. Bernhard war erfreut und bat mich, möglichst während meines Aufenthalts diese Sache zu beschleunigen. Ich rief noch in der Nacht RA Volhard an.
Bernhard will jedoch bei seinem ›Lieferungsverbot‹ für Österreich bleiben, und was die Aufführungen betrifft, so soll auch hier das Verbot gelten. Doch er schlug Peymann etwas vor, wonach er auch sein Gesicht bei diesem Verbot wahren könnte: 1985 wird bei den Salzburger Festspielen ›Der Theatermacher‹ uraufgeführt. 1986 soll Peymann ›Ritter, Dene, Voss‹ in Salzburg uraufführen, und diese Aufführung könnte er dann an die Burg nehmen! So Thomas Bernhard, der genialste Regisseur seiner selbst.«
Anders als geplant übergibt Th. B. S. U. das Manuskript von Alte Meister nicht bei einem neuerlichen Treffen in Wien, sondern bringt es Ende März 1985 nach Frankfurt; S. U. hält dazu in der Chronik fest:
»30. März: […] Abends hole ich Thomas Bernhard am Flughafen ab. Er ist in guter Verfassung und sehr guter Stimmung. Wir sitzen in dem kleinen Bar-Restaurant des Frankfurter Hofs, die Kellnerin zerschlägt das Glas und schüttet mir Champagner über Hose und Jacke. Das Gespräch kommt etwas langsam in Gang, aber er möchte reden, und er läßt mich kaum vor Mitternacht gehen. Immer wieder murmelte er jenen Satz vor sich hin, den er als witzige Äußerung im Gespräch gebraucht hatte: der Tote braucht kein Glück.
Dann übergibt er mir das Manuskript seiner neuen Prosa-Arbeit: ›Alte Meister. Komödie‹. Motto von Kierkegaard: ›Die Strafe entspricht der Schuld: aller Lust zum Leben beraubt zu werden, zum höchsten Grad von Lebensüberdruß gebracht zu werden‹.
31. März: Sonntag. Ich stehe um 6.30 h auf und beginne die Lektüre von Bernhards ›Alte Meister‹. Schwieriger Beginn, nicht immer gleich der berühmte Bernhardsche Sog, der Musikkritiker Reger geht jeden zweiten Vormittag in die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums. Er nimmt Platz auf einer Sitzbank im Bordone-Saal und schaut auf Tintorettos Gemälde vom Weißbärtigen Mann. An diesem Tag hat Reger seinen ›Freund Atzbacher‹, einen Schriftsteller, der Reger beobachtet, gebeten, überraschend in die Gemäldegalerie zu kommen. Überraschend, weil Reger schon am Vortag dagewesen ist. Atzbacher kommt eine Stunde zu früh, um Reger, seinen ›Gedankenvater‹, zu beobachten. Und so kann Atzbacher durch Reger hindurch und durch Tintorettos Weißbärtigen Mann hindurch auf seine Kindheit schauen. Reger redet, und Atzbacher notiert. Es geht über alles, und alles ist lächerlich, gemein und verdorben. Dann aber spricht Reger vom Tod seiner Frau, und es kommen bewegende Sätze vor. ›Nur wenn wir einen Menschen mit einer so hemmungslosen Liebe lieben, wie ich meine Frau geliebt habe, glauben wir tatsächlich, er lebt ewig und in die Unendlichkeit hinein.‹ […]
Noch einmal zwei Stunden Lektüre im Manuskript, dann mit Joachim zu Bernhard; wir fuhren ins ›Alte Zollhaus‹. Beim Gespräch rang ich ihm Korrekturen ab, der Papst wird als verlogen und gemein dargestellt, der österreichische Bundeskanzler als lächerliche Figur; Politiker sind Staatsmörder, und neben Stifter wird auch sein Prophet vom Mönchsberg [Peter Handke] kritisiert. All das will er nun doch streichen.
Als ich gegen 23 h zurückkehre, wieder Lektüre im Manuskript. Da kommt dann noch einmal ein Schlag gegen Österreich und das gemeine österreichische Volk, die wichtigsten Minister seien Nazis, das Volk verdiene es aber nicht anders. […]
Das Buch von Bernhard läßt mich schwer einschlafen. Ein Buch vom Leben und vom Tod, von Kunst und von Literatur, von Lieben und vor allem von Hassen. Ich kann einen so gewaltigen Rundumschlag kaum ertragen, aber er macht es wirklich mit großer Kunst.
1. April
Weitere Kostenlose Bücher